Ai Weiwei zeigt einen der Abhörchips, die sich bei Renovierungsarbeiten in Atelier und Wohnung des Künstlers fanden.

Foto: Johnny Erling

Im Flugzeug von Berlin nach Peking war sich Ai Weiwei unsicher, was ihn bei der Einreise zu Hause erwarten würde. "Innerlich war ich auf Ärger vorbereitet, ob nun für drei Stunden oder drei Tage." Doch alles dauerte nur 30 Sekunden. So lange brauchte der regimekritische Künstler am 3. Oktober, um unbehelligt die Passkontrolle am Pekinger Flughafen zu passieren. Niemand befragte ihn, keiner folgte ihm. Ungehindert auch der Besuch bei seiner kranken 83-jährige Mutter Gao Ying, dem Grund für seinen kurzfristigen Rückflug nach Peking. "Es geht ihr wieder besser", sagte er am Dienstag im ersten Gespräch nach der Rückkehr, das er mit dem STANDARD in seinem Atelier führte.

Mit dieser raschen Rückkehr nach China haben selbst viele seiner Freunde nicht gerechnet, nicht nach allem, was dem 58-Jährigen passiert war. 2011 war Ai überfallsartig von den Behörden für 81 Tage in bis heute unerklärte Willkürhaft genommen und mit Psychoterror malträtiert worden. Auf internationalen Druck kam er frei – zuerst unter Auflagen des Hausarrests. Man erhob eine absurde Steuerbetrugsklage gegen ihn.

Vier Jahre lang schikanierten die Behörden den Konzeptkünstler, während seine Werkschauen im Ausland Erfolge feierten. Erst Anfang 2015 erlaubte Peking dem Künstler plötzlich, auch in China auszustellen; er bekam seinen Pass zurück. Ais Ausreise vor Wochen sorgte für Schlagzeilen. Peking hatte ihm bei der Ausreise keinerlei Auflagen gemacht. "Warum sollte ich daher jetzt nicht auch mit meinem Pass zurückfahren können?"

Doch auf die neue Normalität kann er wohl kaum bauen. Das bemerkte Ai, als er in sein Atelier in Caochangdi kam. Während seiner Reise hatte er Studio und Wohnung renovieren lassen. So kam nun ans Licht, wie intensiv er überwacht wurde: Bei der Modernisierung der Steckdosen fanden Arbeiter in einer Buchse im Büro einen Abhörchip; nebenan und in Ais Privaträumen entdeckten sie weitere Wanzen. Als spontanes Happening ließ Ai einen Eimer holen und zündete vor einer der Abhöranlagen einen Chinakracher. "Wir Chinesen lieben Feuerwerk zu allen Anlässen. Warum nicht auch für meine heimlichen Belauscher. Damit sie etwas Lautes von mir zu hören kriegen."

Schlangen unter den Füßen

In Wirklichkeit war er schockiert. "Das war schlimmer, als jahrelang übers Telefon belauscht zu werden. Davon wusste ich. Schließlich haben die USA auch Frau Merkel abhören lassen." Früher bemerkte er, wenn ihm Leute folgten, wusste, dass ihn Videokameras beobachteten und es seit 2011 im Nachbargebäude eine Überwachungsstation gab. Nie hätte er jedoch gedacht, dass seine Räume von innen verwanzt waren. "Du weißt, dass es Schlangen gibt. Aber wenn du sie zu Hause unter deinen Füßen findest, ist es etwas ganz anderes." Bei den Behörden wiegelte man ab: "Ach, das ist noch von früher." Die Wanzen hatte man offenbar bereits während Ais Verschleppungshaft installiert. Die Nachricht machte unter den Mikrobloggern rasch die Runde. Sie sprachen, den deutschen Spielfilm zitierend, vom "Leben der Anderen in der Version Ai Weiwei".

Seit seiner Auslandsreise ist der Künstler nachdenklicher, aber auch deprimierter geworden, sieht schärfer als andere, was in seinem Land alles nicht stimmt. Er fühle sich wie auf einer Fahrt auf einem Fluss, der sobald er nach China gelangt, langsamer fließt, immer wieder zum Stillstand kommt, zum Teich wird. Anders als im Westen veränderten sich sowohl die Fließgeschwindigkeit, Temperatur, Durchsichtigkeit als auch die Wasserqualität. "Hier herrschen weder westliche noch chinesische Werte", beschreibt er den chinesischen Gesamtzustand.

Am Montag hat er sich ein neues Handy gekauft; die Onlinefunktionen sind eingeschränkt: "Keine Person, die so in ihren Rechten beschnitten wird, kann fröhlich sein, außer sie ist niemals etwas anderes gewöhnt gewesen." Wer immer sagt, dies sei nur ein Problem Einzelner, "hat nicht verstanden, dass der Staat die Masse vieler Einzelner ist."

Nach Ais ersten Interviews mit deutschen Medien in Berlin erntete er Kritik an scheinbar zu verständnisvollen Äußerungen bezüglich Chinas Regierung. Schmähungen kamen auch aus den Reihen der Exilbürgerrechtler, weil er nicht offensiv die Verfolgung von Anwälten, Journalisten oder Bloggern und die repressive Atmosphäre gegeißelt hatte. Ai besteht aber darauf, dass sich die Probleme nicht durch einige lauthals gerufene Parolen auflösen.

Ende des Monats will er zurück nach Berlin fahren und seine Gastdozentur an der Berliner Universität der Künste aufnehmen. Er plant große Ausstellungen: Ende des Jahres stellt etwa die National Gallery of Victoria in Melbourne Ai Weiweis Arbeiten jenen von Andy Warhol gegenüber.

Ai versteht sich als politisch engagierter Künstler, nicht als Aktivist. Geschehnisse in China und alles, was die Regierung gegen ihn unternimmt, verarbeitet er immer wieder zu Kunst mit aufklärerischem Potenzial. Auch die Abhöranlagen werden irgendwann in einer neuen Installation münden. "Selbst wenn sie mich eines Tages aus dem Weg schaffen, eines werden sie nicht zerstören können: meine Kunst." (Johnny Erling aus Peking, 6.10.2015)