Tim Wolff, Chefredakteur des deutschen Satiremagazins "Titanic".

Foto: Thomas Hintner

STANDARD: Sie sind am Freitag zu Gast bei der Tagung des österreichischen Presserats. Welches Verhältnis haben Sie zum Presserat?

Wolff: Ich schätze Presseräte sehr, ja, ich finde sie geradezu niedlich. Eigentlich sollte man eine europäische Presseräterepublik ausrufen, denn ähnlich wie bei dieser Münchner Räterepublik haben Presseräte moralische Vorstellungen, die sie beim besten Willen nicht durchsetzen können. Deswegen habe ich eigentlich ein gutes Verhältnis zu Presseräten.

STANDARD: "Titanic" ist nicht Mitglied des deutschen Presserats und möchte es wohl auch nicht werden, so wie Sie klingen.

Wolff: Nein. In Bezug auf den Presserat gibt es ein Zitat, geprägt von Pit Knorr (eigentlich Peter Knorr, deutscher Satiriker und "Titanic"-Mitgründer, Anm.), das in etwa so lautet: "Wir akzeptieren keine Rügen. Weder die Insel noch Presseratsrügen." Wir machen, was wir wollen, und sie machen, was sie wollen. Wir existieren nett nebeneinander.

STANDARD: Und wenn es trotz friedlicher Koexistenz Rügen gibt?

Wolff: Die hören wir uns an und legen sie dann beiseite.

STANDARD: Wie viele Rügen hat es bisher gegeben? Beim Papst-Cover gab es 182 Beschwerden nach der Anspielung auf den "Vatileaks"-Skandal.

Das Papst-Cover aus dem Jahr 2012.
Foto: Titanic

Wolff: Genau weiß ich das nicht, aber eine davon betraf 2012 das Cover mit dem urinbeschmierten Papst und dem Titel, dass die undichte Stelle gefunden wurde. Da war der Presserat nicht auf unserer Seite, die Zusammenarbeit hat sich aber verbessert. Letztes Jahr hatten wir ein Cover mit dem Titel "So schlimm erwischte es Schumi" und der Fotografie von Niki Lauda. Der Presserat war in diesem Fall auf unserer Seite.

Das Schumi-Lauda-Cover.
Foto: Titanic

STANDARD: Das Papst-Cover war bis jetzt wohl der größte Aufreger mit einer einstweiligen Verfügung gegen Ihr Magazin, angestrebt von der Kirche.

Wolff: Nicht von der Kirche, von Papst Benedikt selbst. Zumindest war er der Absender. Es ging ja um die Persönlichkeitsrechte. Das war die beste Zusammenarbeit, und ich bin traurig, dass Benedikt nicht mehr Papst ist. Die einstweilige Verfügung hat dazu geführt, dass das Heft ausverkauft war. Kurz vor der Verhandlung hat die Bischofskonferenz einen Rückzieher gemacht. Es gab keinen Prozess, die mussten unsere Anwaltskosten übernehmen, und wir hatten gute Werbung.

STANDARD: Ein Glücksfall.

Wolff: Ja, so etwas sollte viel öfter vorkommen.

STANDARD: Ist der neue Papst ein schwierigeres Angriffsziel als der alte?

Wolff: Ja, der macht viele Sachen, die Leute mögen, und er ist ja selbst irgendwie lustig. Ich habe den Eindruck, dem Mann ist vieles egal in seinem Alter, und er nutzt jetzt die Gelegenheit, um die Sau rauszulassen. Er ist sogar mir ein wenig sympathisch, obwohl er das Oberhaupt der katholischen Kirche ist. Da hat man wenig Angriffsfläche, aber klar, Religion und Kirche sind immer ein Ziel für uns und werden es auch bleiben, egal wie lustig der aktuelle Sektenführer ist.

STANDARD: Ein Religionsvergleich: Wer bietet am meisten Reibungsfläche?

Wolff: Beim Islam ist das Problem, dass es keinen irdischen Vertreter gibt. Klar kann man auch Scherze mit Mohammed treiben, der ist aber schon lange tot, und wir konzentrieren uns lieber auf das Irdische. Und ich muss gestehen, hier in Deutschland benehmen sich die Muslime gut. Sie liefern uns nicht genügend Stoff für Satire. Jetzt im Ernst: In Deutschland und Österreich haben die katholische und die evangelische Kirche einen ganz anderen politischen Einfluss als der Islam und bleiben deswegen unser Hauptziel. Und Juden haben wir praktisch keine. Über wen sollen wir da noch Witze machen?

STANDARD: Der Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" liegt jetzt einige Monate zurück. Hat sich Ihre Arbeit seitdem verändert?

Wolff: Wir mussten uns häufiger als vorher mit dem Islam und den verrücktesten Anhängern beschäftigen. Das wird irgendwann auch anstrengend und langweilig, aber dank der Flüchtlingskrise und der Politik kann man sich jetzt wieder auf anderes konzentrieren.

STANDARD: Agieren Sie seit dem Anschlag vorsichtiger?

Wolff: Den irgendwo im Hinterkopf versteckten Gedanken, dass da Leute ermordet wurden, bekommt man nicht so leicht heraus. Aber im Zweifel: Wenn Angst auftaucht, muss man es erst recht machen, weil das kein Hinderungsgrund sein darf. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass bei uns Angst herrscht, das liegt aber auch daran, dass "Titanic" einen anderen Ruf hat als "Charlie Hebdo". Wir sind kein Symbol in dem Kampf, und es wäre schön, wenn wir das nicht würden, denn das bringt keinem etwas.

STANDARD: Sie haben nach dem Anschlag gesagt, wenn Satiriker getötet werden, heißt es erst recht: weitermachen.

Wolff: Selbstverständlich. Tötet man Satiriker, wird die Satire nur noch prominenter. "Charlie Hebdo" hat Rekordauflagen, ist weltweit bekannt. Diese Terroristen haben also genau das Gegenteil erreicht. Man sollte sich aber auch nicht so provozieren lassen, dass ein pauschalisiertes Urteil gewinnt. Wenn es, wie nach den Anschlägen, plötzlich darum geht, wie wir diese angeblich so unaufgeklärten Muslime erziehen sollen, damit sie mit Satire umgehen können, dann erscheint mir das in dieser Trauereuphorie geheuchelt und falsch. Ich persönlich kenne genügend Muslime, die sehr wohl mit Komik und Satire umgehen können. Diese kollektive Stimmung kam zum Teil von Leuten, die vorher keine Satire mochten. Kurz gesagt: Wenn die "Bild"-Zeitung "Charlie" ist, können wir es nicht mehr sein.

STANDARD: Gibt es Grenzen, die Sie mit Satire nicht überschreiten?

Wolff: Pauschal nicht, nein. Setzt man sich welche, hat man schon die Schere im Kopf. Wir diskutieren intern natürlich, und manchmal gibt es Bedenken, dass eine Idee über das Ziel hinausschießt oder zu missverständlich ist. Das wird von Fall zu Fall entschieden.

STANDARD: Wie gehen Sie mit der Polarisierung rund um das Thema Flüchtlinge um?

Wolff: Wir haben uns in diesem Monat für ein ruhiges Cover entschieden. Zu sehen ist ein sympathischer, netter Kerl, der durch die Gegend wandert. Das ist auch eine Möglichkeit: in dem ganzen Wahnsinn eine ruhige Position zu beziehen. Aber gerade weil es so ein emotionales Thema ist, muss man es beleuchten.

Das aktuelle Cover.
Foto: Titanic

STANDARD: Ein beliebtes Angriffsziel ist die Pegida-Bewegung. Über dem Foto einer Pegida-Demo schreiben Sie "Ärsche ohne Grenzen" und fragen "Wo sind die US-Kampfpiloten, wenn man sie mal braucht?". Gibt es erboste Reaktionen der Anhänger?

Wolff: Nein, jene, die wir bekommen, gehen in die Richtung: "Wir haben ja Humor, wir sind ja gar nicht so schlimm, schon gar keine Nazis, und waren für 'Charlie Hebdo'." Die haben gelernt, nicht in diese Falle zu tappen. Pegida-Gründer Lutz Bachmann hat sich anfangs über einen unserer Scherze aufgeregt und gemerkt, dass das nach hinten losgeht. Leider sind diese Leute zu clever, um sich so leicht provozieren zu lassen.

"Titanic"-Startcartoon auf titanic-magazin.de.
Foto: Titanic

STANDARD: Sie versuchen es dennoch?

Wolff: Klar. Mit diesen "Ärschen ohne Grenzen", wie es im Cartoon heißt, möchten wir möglichst wenig zu tun haben.

STANDARD: Diskutiert wurde, ob "Charlie Hebdo" mit der Karikatur über das tote Flüchtlingskind Aylan eine Grenze überschritten hat.

Wolff: Ich sähe eine Grenze überschritten, wenn dieses Bild nicht vorher in seriösen Medien so eine Beachtung erfahren hätte. Aus diesem Foto wurde ein Symbol. Wieso sollte ein satirischer Ansatz per se despektierlicher sein? Was bei "Charlie Hebdo" gemacht wurde, sind ja moralische Scherze mit berechtigten Fragen: Was ist das für eine Welt, in die der Junge gekommen wäre, und ist diese Konsumorientierung nicht ein wenig mitschuldig an seinem Schicksal? Die zweite Karikatur mit Jesus, der über das Wasser geht und womit bewiesen wäre, dass Europa christlich ist, weil er das kann und muslimische Kinder nicht, ist in der vorgetäuschten Beweisführung ja schon so absurd, dass man als Satirebeobachter nur erkennen kann, dass es um die Überzeichnung von europäischem Rassismus geht. Letztlich ist es Satire für Flüchtlinge.

STANDARD: Was sagen Sie zur Onlinekonkurrenz, also "Postillon" in Deutschland und "Tagespresse" in Österreich?

Wolff: Wir freuen uns, und grundsätzlich gilt: je mehr Satire, desto besser. Beide Seiten verfolgen einen sehr klassischen, moralsatirischen Ansatz, indem Schlagzeilen schnell auf eine Pointe geführt werden. Das nimmt uns nichts weg. Wir bedienen andere Ansätze, und die Nische ist breit genug. Also im Gegenteil: Es freut mich, und ich lese sie auch gerne. (Oliver Mark, 8.10.2015)