Eine Mutter hat mir erklärt, dass es im Estnischen einen Begriff gibt, der den Schnee bezeichnet, wenn er unter den Füßen knirscht.

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"Toronja" sagte immer meine Großmutter, wenn sie Grapefruit meinte. Sie war Bulgarin und sprach natürlich auch Bulgarisch mit ihrer gesamten Familie, trotzdem verwendete sie immer das spanische Wort für diese süßlich-bittere Frucht. Sie sagte es so genussvoll und so überzeugt, dass es niemanden wunderte, es war fast selbstverständlich, dass die Großmutter "toronja" sagte, inmitten der Plattenbauten Sofias in den 80ern.

Skepsis

Als sie in den 60er-Jahren mit der Zweisprachigkeit ihrer Kinder konfrontiert wurde, existierte dieses Phänomen in den Köpfen sehr weniger Menschen, bestenfalls einiger engagierter Sprachwissenschafter. Sie lebte die Sprachen, die in ihrem Leben eine Rolle spielten, höchst emotional und vor allem intuitiv, und das gab sie an ihre Kinder weiter und vielleicht auch ein Stück weit an mich, ihre Enkelin. Sie ließ die Worte auf der Zunge zergehen und machte sich keine Gedanken darüber, wie das ankommen würde beim Rest der Welt. Es gab wenige Meinungen zur mehrsprachigen Erziehung, und wenn, wurde diese sehr skeptisch betrachtet.

Widersprüche

Viele Jahre später, 2016, gibt es nach wie vor wenig Unterstützung für Eltern, die sich in der Situation befinden, mit mehreren Sprachen zwischen Familie, Umfeld, Schule oder Kindergarten umgehen zu müssen. Ganz anders ist aber die Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit. Man kennt diesen Ausdruck, man kann sich darunter viel vorstellen, es wird viel darüber diskutiert, auch öffentlich. Nur sind die Diskussion und die Tendenzen widersprüchlicher denn je. Das hilft Eltern, die ihre Kinder sprachlich unterstützen, die sie begleiten und vor allem sich einfühlen wollen, auch nicht weiter.

Wenig Unterstützung

Während meines Studiums der spanischen Philologie habe ich viele Dinge verstanden, die meine Eltern getan haben, um mir Lust auf die Sprache zu machen oder mir Schreiben und Lesen in drei Sprachen beizubringen. Gelebte Mehrsprachigkeit – dieses Thema faszinierte mich immer mehr. Und nun, selbst Mutter, die ihre Kinder dreisprachig erzieht, merke ich, wie immer noch Eltern wenig Unterstützung erhalten, wenn sie ihre Kinder mehrsprachig erziehen. Es gibt vor allem keine Beratungsangebote.

Und so entschied ich mich, das Beratungszentrum Linguamulti zu gründen, um Eltern und PädagogInnen zu unterstützen. Ich biete Workshops, Einzelberatung und Videoconsulting an. Durch das Videoconsulting steht das Know-how von Linguamulti Eltern überall auf der Welt zur Verfügung.

Ein weiterer Teil des Angebots sind Workshops für kreative Sprachförderung für Kinder und Jugendliche mit den Schwerpunkten "Die eigenen Sprachschätze entdecken", "Kreatives Schreiben" und "Rhetorik".

Letztendlich ist jede familiäre mehrsprachige Situation einzigartig, und es bedarf deshalb einer individuellen Lösung. Dabei helfe ich Eltern.

Wenn der Schnee knirscht

Ich möchte auf meine Großmutter zurückkommen. Warum sagte sie mitten in ihrem bulgarischen Satz ein Wort auf Spanisch? Vielleicht kennen Sie es von sich selbst, tun Sie das auch mit bestimmten Worten? Meistens steckt eine Emotion dahinter, die so stark mit diesem Wort und einer konkreten Situation, einem Zeitabschnitt zusammenhängt, dass wir auf die "andere Sprache" zurückgreifen und ein Wort "einwerfen". Manchmal ist es lustig, manchmal passiert es, weil es genauer, besser ausdrückt, was wir sagen wollen, manchmal ist es einfach, weil es wunderbare Erinnerungen wachruft.

Eine Mutter, die einen meiner Workshops besuchte, hat mir erklärt, dass es im Estnischen einen Begriff gibt, der den Schnee bezeichnet, wenn er unter den Füßen knirscht. Und obwohl sie mit ihrem Mann auf Englisch spricht, muss immer Estnisch her, wenn der Schnee knirscht. (Zwetelina Ortega, 15.1.2016)