Ruth Wodak: "Viele Rechtspopulisten bezeichnen sich bald als Opfer einer Kampagne. Begriffe wie Jagdgesellschaft kennen wir noch von Jörg Haider."

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Das Rezept vieler Rechtspopulisten sei es, Katastrophenszenarien herbeizuschwören und gegen Reformen zu wettern, ohne vernünftige Gegenrezepte zu präsentieren, sagt Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak. Sie bezeichnet das Phänomen als die "Politics of Fear". In Österreich beherrsche die FPÖ diese Strategie sehr gut.

Warum das Flüchtlingsthema im Wien-Wahlkampf funktionalisiert wurde und warum der Grenzzaun als sprachliches Symbol im grenzenlosen Europa nicht mehr funktioniert, erklärt sie Rosa Winkler-Hermaden.

STANDARD: Am Montag fand eine TV-Konfrontation der Spitzenkandidaten zur Wien-Wahl statt. Das Motto schien zu sein: Alle gegen Heinz-Christian Strache. Warum haben die Politiker allesamt das Gefühl, sich gegen den FPÖ-Kandidaten wehren zu müssen?

Wodak: Ich habe das nicht so empfunden, dass alle ausschließlich gegen Strache waren. Vom ÖVP-Kandidaten bekam er auch etwas Zuspruch. Strache selbst hat es gleich zu Beginn so definiert. Viele Rechtspopulisten bezeichnen sich bald als Opfer einer Kampagne. Begriffe wie Jagdgesellschaft kennen wir noch von Jörg Haider.

STANDARD: Die grüne Kandidatin Maria Vassilakou hat Strache scharf angegriffen. Ist die Strategie aufgegangen, oder hat sie ihn ungewollt in den Mittelpunkt gestellt?

Wodak: Bei diesen Formaten kommt es vor allem darauf an, die eigenen Wähler zu erreichen. Insofern kann eine solche Strategie helfen. Man will die Nichtwähler motivieren, zur Wahl zu gehen.

STANDARD: Das Besondere an diesem Wahlkampf ist, dass er von der Flüchtlingssituation geprägt ist. Wie wirkt sich das aus?

Wodak: Den ganzen Sommer über gab es schon Berichte über fehlende Unterkünfte, gleichzeitig eine Föderalismus-Debatte, weil die Länder anscheinend nicht bereit waren, ihre Quoten zu erfüllen. Immer mehr Flüchtlinge kamen nach Österreich, und Ungarn errichtete schließlich einen Zaun. Außerdem ist das Thema seit Jahren bekannt, nur in den Medien weniger präsent gewesen. Es handelt sich um ein unheimlich komplexes Phänomen, und dieses wird im Wahlkampf funktionalisiert und unglaublich vereinfacht dargestellt, auf wenige Gefahren und damit zusammenhängende Metaphern und Bilder reduziert. Es wird davor gewarnt, dass eine "andere Kultur" kommt, die uns "überschwemmen" wird. Strache spricht von "sogenannten Flüchtlingen". Damit suggeriert er, dass die meisten keine echten Flüchtlinge seien, also Betrüger.

STANDARD: Sie befassen sich mit diesen "Angstszenarien" auch in Ihrem neuen Buch "Politics of Fear".

Wodak: Es geht darum aufzuzeigen, dass vielen globalen und lokalen Veränderungen entgegengewirkt wird, indem ununterbrochen Katastrophenszenarien herbeigeschworen werden, nicht nur in Europa, in den USA etwa von der Tea Party. Diesen Gefahren seien demnach alle ausgeliefert; man kann sich – so wird impliziert – auch nicht wehren. Aber die Vertreter der Politik der Angst präsentieren kaum konstruktive Gegenkonzepte. In den USA wird etwa gegen die Gesundheitsreform von Obama gekämpft – ohne neue oder bessere Vorschläge zu haben.

STANDARD: Klingt wieder nach FPÖ.

Wodak: Das beherrscht in Österreich die FPÖ, ja. Das Ankündigen einer "Oktoberrevolution" ist – in Kenntnis der historischen Zusammenhänge – sehr gewagt und lässt viele Interpretationen zu. Das kann doch kein Programm sein.

STANDARD: Bei der Wahl in Oberösterreich haben sämtliche Politiker, die verloren haben, die Flüchtlingsfrage als Grund hergenommen. Machen sie es sich zu einfach?

Wodak: Ein polarisierendes Thema, die Flüchtlinge, musste als Sündenbock dienen. Es fehlte an Differenzierung. Aber das ist auch nicht immer allen vorzuwerfen. Es ist ein Teil unserer schnelllebigen Gesellschaft, dass komplexe Themen keinen Platz haben.

STANDARD: Journalisten zeigen in Faktenchecks sehr wohl auf, dass Strache nicht immer ganz die Wahrheit sagt. Im ORF-Sommergespräch hat er den Klimawandel geleugnet. Ist das den Wählern egal?

Wodak: Manche interessiert das sicher. Aber Wählen hat vor allem auch eine starke emotionale Dimension, die oft vergessen wird. Schon Aristoteles hat klar argumentiert, dass politische Rhetorik sehr stark auch mit Pathos arbeitet und die Vernunft nur ein Teil ist. Auch Politik gehorcht nicht nur rationalen Gesetzen, sie hat eine eigene Logik. Sonst könnte man ein Phänomen wie Charisma nicht verstehen. Warum wirkt ein Politiker charismatisch? Dem einen gefallen die Augen, jemand anderem, wie er oder sie spricht.

STANDARD: Fehlt Parteien abseits der Populisten die Gefühlsebene?

Wodak: Sie sprechen andere Gefühle an. Die Grünen verwenden Bilder und Farben auf den Plakaten, die Wärme vermitteln. Die SPÖ betont das "G'spür". Die FPÖ schreibt: "Wählt so, wie IHR denkt." Damit errichtet sie ein Strohmann-Argument. Als ob es nicht erlaubt sei, zu denken, was man wollte, oder FPÖ zu wählen.

STANDARD: Der Grenzzaun wird von der FPÖ als sprachliches Symbol verwendet: Ähnlich einem Gartenzaun könnten Fremde nicht einfach hereinkommen. Wie wirkt das beim Wähler?

Wodak: Die Metaphorik des Zauns ist uralt und funktioniert in einem grenzenlosen Europa nicht mehr. Wir haben transnationale Kommunikation, EU-weite Reisefreiheit. Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite ein Biedermeierstreben – zurück ins Häuschen und keinen hereinlassen; andererseits große Grenzüberschreitungsmöglichkeiten.

STANDARD: Neben denjenigen, die Rechtspopulisten vertrauen, sehen wir viele, die demonstrieren, die Flüchtlingen helfen. Warum offenbart sich gerade in Krisenzeiten diese Widersprüchlichkeit?

Wodak: Ich sehe Polarisierung und extreme Positionen – aber auch einen großen Raum dazwischen: Leute, die sich nicht exponieren wollen, aber deshalb nicht fremdenfeindlich sind. Viele haben nicht die Möglichkeit zu helfen, weil sie anderes oder mit sich zu tun haben. Auch das darf man niemandem zum Vorwurf machen. (Rosa Winkler-Hermaden, 9.10.2015)