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Immer wieder fordern Demonstranten ihren Rücktritt, nun setzt ein neues Urteil Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff unter Druck.

Foto: AP / Eraldo Peres

Seit Monaten droht die Opposition Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff mit einem Amtsenthebungsverfahren. Die vor einem Jahr wiedergewählte Linkspolitikerin wird für die schwere Wirtschaftskrise und die steigende Inflation im Land verantwortlich gemacht. Die regierende Arbeiterpartei PT soll außerdem Schmiergeldzahlungen in Höhe von rund 177 Millionen Euro von dem halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras erhalten haben. Juristisch hatten die Kritiker wenig Überzeugendes gegen Rousseff persönlich in der Hand – bis jetzt.

In der Nacht zum Donnerstag urteilte der Oberste Rechnungshof TCU nun, dass die Regierung für das vergangene Jahr den Haushalt manipuliert und gegen die Verfassung verstoßen habe. Damit sollte im Wahljahr das hohe Staatsdefizit verschleiert werden. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Oberste Wahlgerichtshof entschieden, gegen Rousseff wegen des Verdachts der illegalen Wahlkampffinanzierung zu ermitteln.

Spielraum schwindet

Erstmals steht damit die Präsidentin persönlich in der Verantwortung. Ihr könnten Fehlverhalten und Amtsverletzung vorgeworfen werden. Für ihre Kritiker wäre das ein entscheidender Schachzug, für Rousseff bleibt kaum noch politischer Spielraum. Bei Bekanntgabe des Urteils des TCU brandete dann auch Jubel bei der Opposition im Kongress auf. "Ich denke, dass jetzt alles sehr schnell gehen wird", sagte Oppositionsführer und Ex-Präsidentschaftskandidat Aécio Neves. "Die Regierung ist am Ende", riefen andere Abgeordnete aus.

Konkret werfen die Rechnungsprüfer der Regierung Tricksereien im Bundeshaushalt durch verzögerte Überweisungen an öffentliche Banken vor, die für die Auszahlung von Sozialleistungen zuständig sind. Es ist das erste Mal seit 1937, dass der Rechnungshof einen Haushalt zurückweist. Die Regierung spricht von einer "politisch motivierten Entscheidung" und kündigte Widerspruch an.

Angebote an den Koalitionspartner

Dennoch wird ein Amtsenthebungsverfahren gegen die 67-jährige Rousseff immer wahrscheinlicher. Noch im Oktober will die Opposition ihren Antrag ins Parlament einbringen. Mindestens 342 der 513 Abgeordneten müssten dafür stimmen. Nur mithilfe von Rousseffs liberalem Koalitionspartner PMDB würde diese Zweidrittelmehrheit zustande kommen. Bei Billigung müsste Rousseff ihr Amt ruhen lassen, und Vizepräsident Michel Temer vom PMDB würde übernehmen. Falls das Amtsenthebungsverfahren danach Erfolg hat, stünden Neuwahlen an.

Die Verteidigungsstrategie von Rousseff zielt deshalb darauf ab, dem PMDB möglichst weit entgegenzukommen. Bei einer Kabinettsumbildung in der vergangenen Woche strich die Präsidentin acht von 31 Ministerien. Der PMDB erhielt insgesamt sieben Ressorts, unter anderem das einflussreiche Gesundheitsministerium. Innerhalb der regierenden Arbeiterpartei PT wird jedoch stark bezweifelt, dass sich der Koalitionspartner dadurch zur Loyalität verpflichtet fühlen wird.

Band zu Lula zerrissen

Intern werden schon seit Wochen Ausstiegsszenarien durchgespielt. Der beliebte Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva versucht dabei, hinter den Kulissen die Regierung und damit sein politisches Erbe vor dem Zerfall zu retten. Das Band zwischen Lula und seiner Nachfolgerin gilt schon lange als zerrissen. Von lautstarken Auseinandersetzungen zwischen beiden im Präsidentenpalast berichten brasilianische Medien.

Auch sonst ist Rousseff innerhalb der Partei zunehmend isoliert. An Schaltpositionen in Ministerien installierte Lula Vertraute und degradierte die Präsidentin so zur Nebendarstellerin. Keine Frage, der von der Bevölkerung verehrte Lula bereitet seine Präsidentschaftskandidatur vor. Chancen hätte er jedoch nur bei einem freiwilligen Abgang von Rousseff und vorgezogenen Neuwahlen. Das aber lehnt die Präsidentin strikt ab. "Ich habe Folter und Diktatur überstanden. Ich werde auch das überstehen", sagte sie. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 8.10.2015)