"Krasser Hund", sagt ein junger Mann in der Wiener Innenstadt. "Ist das ein Wolf, Mama?", fragt ein Bub ein paar Meter weiter. Touristenhälse recken sich an ihren Kaffeehaussesseln. Sie folgen Linda Nimick und – vor allem – Albireo. Der stattliche grau-weiße Rüde mit spitzer Schnauze, buschigem Schweif, Stehohren und kräftigen Läufen sieht einem Wolf zum Verwechseln ähnlich. "Ich werde alle 20, 30 Meter angehalten und gefragt, ob das ein Wolf ist", sagt Nimick, Studentin der Veterinärmedizin und seit eineinhalb Jahren Halterin eines Tschechoslowakischen Wolfhundes.

Mit Wolfhündin Serij durch Wien.
derstandard.at/luger

Wolfhunde sind so faszinierend wie respekteinflößend, sie verkörpern Naturnähe, Wildheit und Ursprünglichkeit, bleiben aber trotz allem Hunde und lassen sich im Gegensatz zu Wölfen in den menschlichen Alltag integrieren. Und sie liegen im Trend.

Offizielle Daten gibt es zwar nicht, aber das Interesse und die Zahl der Wolfhunde in Österreich steigen. "Seit zwei oder drei Jahren sieht man immer häufiger Wolfhunde, auch in der Stadt, und wir werden viel öfter danach gefragt", sagt Astrid Mascherbauer vom Wolfhundeclub Österreich.

"Wir fühlen uns sehr angezogen von Wildnis und Natur", erklärt Zsófia Virányi, Leiterin des Wolf Science Centers in Ernstbrunn, einer Forschungseinrichtung, die sich mit dem Verhalten von Wölfen und Hunden beschäftigt.

In Albireos Revier und in der Straßenbahn.
derstandard.at/brugner

Doch Wolfhunde sind als Modehunde nur sehr bedingt geeignet. Sie sind alles andere als einfach zu halten und stellen ihre Besitzer vor Herausforderungen und Einschränkungen in ihrem bisherigen Lebenswandel. Albireo etwa kann nicht allein bleiben. "Das ist für die Rasse typisch", sagt Linda Nimick.

"Es ist für ihn schon ein Drama, wenn er in der Hundeschule 15 Meter von mir entfernt liegen bleiben muss", sagt die Wolfhundehalterin. Nimick hat ihren Hund einige Male testweise zu Hause in ihrer Neubauwohnung im 19. Wiener Gemeindebezirk gefilmt und ist vor die Tür gegangen. Sie berichtet: "Zuerst hat er 20 Minuten gejault, gebellt, ist gegen Tür und Fenster gesprungen und hat Sachen kaputt gemacht. Dann hat er begonnen zu überlegen, wie er jetzt aus der Wohnung rauskommt. Und wenn er möchte, schafft er das auch."

Kein Teddybär und nicht immer mit anderen Hunden kompatibel: der Wolfhund.
Foto: Jenny Goldmann

Wolfhunde sind intelligent, haben eine ausgeprägte Personenbindung und einen starken eigenen Willen. Viele können Türen und Fenster öffnen. "Viele Interessenten sagen dann: 'Ja, das kenn ich eh, mein Rexi hat auch Klopapierrollen zerfitzelt, wenn er alleine war', aber die Dimension beim Wolfhund ist eine andere. Der zernagt den Türstock oder holt das Innenleben aus der Couch heraus", sagt Mascherbauer.

"Am Abend zu zweit ins Kino gehen geht halt nicht, aber wir sind sowieso lieber in der Natur."

Linda Nimick war darauf vorbereitet und nimmt ihren Wolfhund mit, wo und wann immer es möglich ist. Sonst passt ihr Freund auf. Ein Hundesitter ist keine Option, dort würde Albireo nicht bleiben. "Am Abend zu zweit ins Kino gehen geht halt nicht, aber wir sind sowieso lieber in der Natur", sagt sie. Urlaub? Nicht ohne Hund.

Derzeit gibt es zwei anerkannte Wolfhunderassen: den Tschechoslowakischen Wolfhund und den Saarlooswolfhund. Beide Rassen entstanden durch die Kreuzung von Deutschen Schäferhunden mit Wölfen etwa Mitte des 20. Jahrhunderts, wurden aber ursprünglich nicht auf Wolfsähnlichkeit gezüchtet, sondern als Gebrauchshunde für den Einsatz bei Militär, Rettung oder als Blindenhund.

In der Fernsehserie "Game of Thrones" kommt der bereits ausgestorbene Steinzeitwolf Canis dirus als treuer Begleiter des Menschen vor. Er sieht dem Husky ähnlich, ist aber um einiges größer. Ein Grund, weshalb die Nachfrage nach ähnlichen Rassen in den vergangenen Jahren gestiegen ist.
Foto: HBO via AP

Sie sollten robuster, ausdauernder, gesünder und instinktsicherer sein als Schäferhunde und zum Beispiel selbstständig die Grenze abschreiten und bewachen. Beide Züchtungen scheiterten eigentlich: Die Hunde erwiesen sich als schwierig und langwierig auszubilden, hatten Probleme mit wechselnden Hundeführern oder blieben zu scheu.

Missglückte Züchtung

Sie behielten einen zu wölfischen Charakter. Tatsächlich sind Wolfhunde genetisch näher am Wolf als alle anderen Hunderassen. Bei derzeit lebenden Tschechoslowakischen Wolfhunden wurde vor etwa acht Generationen zuletzt ein Wolf eingekreuzt (F8). Ab F5 spricht man von einem Hund, hochprozentigere Wolf-Hund-Mischungen dürfen in Österreich nur unter Auflagen gehalten werden. Zum Vergleich: Ein Dackel bewegt sich irgendwo in der Größenordnung von F400.

"Die Leute sehnen sich nach dem zahmen Wolf im Wohnzimmer."

Es gibt keine zahmen Wölfe

Die Nähe zum Wolf und das eindrucksvolle Erscheinungsbild der Wolfhunde rufen nicht nur informierte Interessenten auf den Plan. Birgit und Roland Berger haben in Kärnten Tschechoslowakische Wolfhunde gezüchtet, sich dann aber entschlossen, mit der Zucht aufzuhören. "Es hat sich als zunehmend schwierig herausgestellt, geeignete Halter für diese nicht ganz einfache Rasse zu finden", ist auf ihrer Webseite zu lesen. "Es kamen Leute, die den größten Rüden aus dem Wurf verlangten oder einen Wolfhund als Hochzeitsüberraschung für die Tochter haben wollten", erzählt Roland Berger.

Außen: Tschechoslowakische Wolfhunde, in der Mitte: ein Wolf in der Ukraine.
Fotos: Jenny Goldmann, AP/Sergiy Gaschak

Der Drang, Wölfe oder möglichst wolfsähnliche Hunde als Haustiere zu halten, ist ein relativ junges Phänomen. Geschichten vom bösen und hinterlistigen Wolf finden sich in vielen klassischen Märchen und Fabeln und dokumentieren das damalige Image der Tiere: Rotkäppchen mitsamt Großmutter wird vom Wolf gefressen, ebenso sechs von sieben "kleinen Geißlein", zwei von drei "kleinen Schweinchen" und eine Ente in "Peter und der Wolf". Nachdem die Wölfe aus dem richtigen Leben verschwunden waren, begann sich das Bild langsam zu ändern.

Rückkehr des Wolfes

Romantisierende Darstellungen von innigen Mensch-Wolf-Beziehungen in "Wolfsblut" und "Der mit dem Wolf tanzt" zeigten Wölfe als sensible, treue Begleiter des Menschen. In der aktuellen US-Fantasyserie "Game of Thrones" wachsen mythisch aufgeladene Riesenwölfe mit Menschen auf und sind ihnen loyale Diener. Das Image des Wolfs hat sich nicht zuletzt durch solche popkulturellen Referenzen innerhalb weniger Jahrzehnte vom Schafmörder zum schützenswerten Wildtier gewandelt.

* Für das erste Halbjahr 2015 gibt es bereits rund zehn Hinweise auf Wölfe in Österreich, zwei davon konnten nachgewiesen werden.
Grafik: Maria von Usslar

In vielen Weltregionen – auch in Österreich – nimmt die Zahl der Wölfe wieder zu, und die Tiere werden unter Naturschutz gestellt. Auch Stars wie die Sängerin Miley Cyrus engagieren sich gegen den Abschuss von Wölfen.

Wolfhundehalterin Jenny Goldmann weiß, welches Publikum vom "Wölfischen" besonders fasziniert ist. Sie wohnt mit ihrer knapp zwei Jahre alten Hündin Serij im zweiten Wiener Gemeindebezirk und wurde auf dem Weg in den Prater schon so oft angesprochen, dass sie eine Typologie der Wolfhundeinteressenten entwickelt hat. Einerseits seien da die "Wolfsromantiker": Naturfreunde, die sich nach Ursprünglichkeit sehnen. Sie idealisieren die Tiere und projizieren ihre eigenen Wünsche und Träume auf sie.

Der andere Typ sind "junge Männer, die gerne auffallen und beeindrucken wollen und sonst wohl eher einen Pitbull an der Leine hätten", denen gehe es nur um die Optik. "Ich glaube, dass nach der ersten Modewelle viele Wolfhunde im Tierheim landen werden", sagt Goldmann.

Nicht für die Hundezone geeignet

"Ich sehe das sehr nüchtern. Die meisten Leute suchen sich einen Hund aufgrund von Äußerlichkeiten aus. Oder sie kennen einen Hund von Freunden oder aus Filmen, der ihnen gefällt, und wollen dann auch so einen haben", sagt Wolfsforscherin Zsófia Virányi. Dabei ist es besonders bei Wolfhunden wichtig zu wissen, was auf einen zukommt. Wolfhunde sind für die städtischen Hundezonen zum Beispiel kaum geeignet, weil sie ständig die Hierarchie mit anderen Hunden klären wollen. Zugang zu Natur gehört also zu den Mindestanforderungen an Wolfhundehalter, genauso wie Konsequenz und Geduld.

Die Erziehung der Tiere dauert länger, weil sie nur lernen, wenn sie einen Sinn darin erkennen, und man als Halter über viele Monate ein Vertrauensverhältnis aufbauen muss. Autoritäres Auftreten oder Bestechung durch Leckerli hilft da nicht.

Foto: Jenny Goldmann

Jenny Goldmanns Hündin Serij bereitet das Stadtleben keine Probleme, sie fährt U-Bahn, spaziert unaufgeregt an Menschenansammlungen vorbei und erschrickt nicht bei unerwarteten Geräuschen. Im Prater läuft sie frei und spielt ausgelassen mit anderen Hunden. Serij kann sogar alleine zu Hause bleiben, die Sache mit dem Aufpassen aufs eigene Territorium nimmt sie allerdings ein wenig zu ernst: Sie duldet weder Besuch durch Einbrecher noch durch Goldmanns Freunde.

"Karibikurlaub geht sich in den nächsten zehn Jahren keiner aus."

Beim Hundesitter abliefern kann man Serij ebenso wenig wie Albireo, zu stark ist ihre Personenbindung. Bereut hat Jenny Goldmann ihre Entscheidung für Serij aber nie: "Sie ist ein toller, einzigartiger Hund. Man muss nur wissen, worauf man sich einlässt. Karibikurlaub geht sich in den nächsten zehn Jahren jedenfalls keiner aus."