David Barstow – hier bei einer Veranstaltung des Presserats am Donnerstag – erhielt unter anderem für die Enthüllung eines Bestechungsskandals der Supermarktkette Walmart einen Pulitzer-Preis.

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STANDARD: Sie kleiden sich für wichtige Interviews gerne bewusst leger – haben Sie dafür extra eine alte Jogginhose und ein fleckiges T-Shirt im Kasten?

Barstow: Wenn man mit mächtigen Leuten spricht, passiert viel psychologische Kriegsführung. Oft kreuzen die mit Anwälten und Pressesprechern auf – und alle tragen Anzüge. Ich trage dann eine normale Jeans und ein Hemd. Das zeigt einerseits, dass ich nicht eingeschüchtert bin, andererseits, dass ich nicht einer von ihnen bin. Das ist von Columbo inspiriert – auch er spricht meistens mit Berühmten und Mächtigen. Er fühlt sich dabei wohl, obwohl er diesen alten Mantel trägt. Columbo zelebriert seine Rolle, auch wenn die Reichen ihn verführen wollen, zu ihnen zu gehören. Das ist etwas, dem auch wir Journalisten widerstehen müssen.

STANDARD: Wie können wir das tun?

Barstow: Einstellungssache. Herauszufinden, was passiert ist, muss das einzige sein, worum wir uns kümmern. Es gibt eine lange Tradition von Journalisten, die ihren Job nutzen, um ihre Sichtweise voranzubringen – das respektiere ich, aber es ist nicht mein Journalismus.

STANDARD: Viele Journalisten wählen den Beruf, um die Welt zu verbessern. Liegen sie falsch?

Barstow: Der Impuls ist richtig, aber wir müssen bescheidener sein. Man muss daran glauben, dass die Welt besser wird, wenn die Leute sie besser verstehen. Das Ziel sollte nicht sein, ein Gesetzesänderung zu bewirken, sondern eine Geschichte zu schreiben, die es Menschen erlaubt, richtige Entscheidungen zu treffen. Unsere Rolle ist so klein!

STANDARD: Sie haben Ihre Beziehung zum Journalismus in Ihrer Rede beim Presserat als Ehe beschrieben. Schonmal über Scheidung nachgedacht?

Barstow: Nein, ich liebe meinen Job. Ich glaube so fest daran, dass meine Arbeit einen Unterschied macht, dass ich nie ... warten Sie, es gab einen Fall ganz am Beginn meiner Karriere. Meine erste große investigative Geschichte – und in der Nacht davor hat der Verleger sie auf Druck eines Werbekunden ausgehöhlt. Da habe ich an Scheidung gedacht und mich für Jus-Studien beworben, aber ein Freund überzeugte mich, dem Journalismus noch eine Chance zu geben.

STANDARD: Viele Menschen würden in ihrer Garderobe einen falschen Schnurrbart für Undercover-Recherchen vermuten.

Barstow: Ich war noch nie im Leben undercover. Das halte ich für den größten Fehler, den ein investigativer Journalist begehen kann: Die moralische Überlegenheit als Wahrheitsfinder aufzugeben. Meine Regel lautet: Alles was ich tue, muss ich meiner Mutter erzählen können, ohne dass es mir peinlich ist.

STANDARD: Sie sind seit diesem Jahr Südost-Asien-Korrespondent für die "New York Times". Sind Ihnen die USA zu langweilig geworden?

Barstow: Ich habe den größten Teil der vergangenen 30 Jahre ausschließlich investigativen Journalismus betrieben. Ich suchte nach einem kompletten Tempowechsel. Indien erschien mir als die perfekte Gelegenheit, um für ein paar Monate ganz anderen Journalismus zu machen. Es ist ein tolles Land und schreit nach investigativer Berichterstattung.

STANDARD: Also zieht es Sie erst recht wieder zum Investigativen.

Barstow: Normalerweise konzentriere ich mich nach einer großen investigativen Geschichte auf kleinere, einfachere Themen. Das hält meistens für ein paar Monate und dann tauche ich wieder rein.

STANDARD: Die "Times" hat vor zwei Jahren fast 100 Stellen in der Redaktion gestrichen, andere Zeitungen straucheln ebenso. Droht investigativer Journalismus im Zuge der Digitalisierung unter die Räder zu kommen?

Barstow: Der investigative Journalismus am wenigsten. Die New York Times hat den Investigativ-Bereich sogar aufgestockt. Viele andere Zeitungen stellen ebenso fest, dass ihre Leser große, investigative Geschichten lieben.

STANDARD: Welche neuen Herausforderungen sehen Sie in Ihrer Arbeit?

Barstow: Es ist so schwierig geworden, unsere Quellen zu schützen. Früher musste man vorsichtig sein, aber man konnte jemanden anrufen oder einen Kaffee trinken gehen. Der Quellenschutz wird durch die massenhafte elektronische Überwachung wirklich untergraben. Zweitens ist die gerichtliche Verfolgung von Whistleblowern verheerend für uns. Die Leute haben eine Riesenangst davor, mit uns zu reden. Das hat es nicht gegeben, als ich diesen Job begonnen habe. (Sebastian Fellner, 11.10.2015)