Der Uno-Sonderbeauftragte für Libyen, Bernardino León, hat es also, wie man so schön sagt, durchgezogen: Die letzten Meter bis zum Ziel einer Einheitsregierung in dem konfliktgeplagten Land legte er mehr oder weniger allein zurück, ohne auf vorletzte – denn es kommen ja stets noch letzte – Einwände aus den Lagern zu hören, die er zusammenbringen muss. Die Institutionen, die entstehen, wenn man zwei konkurrierende Parlamente und zwei Regierungen verschmilzt, sind entsprechend komplex – und wasserkopfähnlich. Noch schwieriger ist es jedoch, sie zu besetzen: Der Proporz ist gefragt, aber es muss auch Personal sein, das nicht nur für die eigene, sondern auch für die andere Seite akzeptabel ist.

Das heißt, es gibt Verlierer. Kurz nach der Verkündigung von Leóns "Vorschlag" – mehr war es am Freitag eigentlich ja noch nicht – in Shkirat in Marokko setzte eine Kakophonie der Unzufriedenen ein. Es war nicht sofort klar, ob sie stark genug sind, um eines der beiden Lager, die für den politischen Bruch stehen, zum Aussteigen aus dem Prozess zu bringen. Aber selbst wenn die Parlamente in Tripolis und Tobruk die Einigung abnicken, bleibt noch viel Störungspotenzial aus den Reihen derer, die gar nicht mit am Tisch saßen. Und da ist noch nicht einmal der langsam in Libyen einsickernde "Islamische Staat" gemeint.

León bemühte sich sehr um die Inklusivität der Verhandlungen, aber wie stark der Rückhalt einzelner Verhandler wirklich ist, wird sich erst erweisen, wenn es an die Umsetzung geht. Die politischen Vertreter üben auch nur wenig Kontrolle über jene Akteure aus, die in ihrem Namen gegeneinander – und gegen Dritte (und Vierte und Fünfte) – Krieg führen. Jede der beiden "Operationen" ("Morgenröte" in Tripolis, "Würde" in Tobruk/Bengazi) hat ihre eigenen Zerfallserscheinungen.

In Syrien, Irak, Jemen gebe es den libyschen "Luxus" nicht, einen Konsens erarbeiten zu können, appellierte León fast verzweifelt an die Konfliktparteien. Seine Verbündeten sind die Erschöpfung und Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung – die jedoch auch der Politik misstraut. Der von Tobruk anerkannte Armeechef General Khalifa Haftar, der zu den Verlierern des León-Deals zählen würde, setzte zuletzt Aktionen, die den Verdacht aufkommen lassen, dass er für Libyen und für sich selbst – als eine Art libyscher General Sisi – andere Pläne hat. Die (vermeintliche) Sicherheit würde dann vor der Demokratie kommen. (Gudrun Harrer, 9.10.2015)