"Bilder, die wir im Kopf haben, sind oft Stereotype. Auch Österreich ist mehr als Jodeln und Lederhosen", sagt Birgit Breninger.

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Um mit Interkulturalität umgehen zu können, müssten Mitarbeiter nicht nur anders denken, sondern auch anders fühlen lernen, sagt Birgit Breninger, die Studierende und Führungskräfte coacht.

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STANDARD: Was sind typische Fehler, wenn jemand mit Menschen aus anderen Ländern zu tun hat?

Breninger: Fehler Nummer eins ist: andere Kulturen nur oberflächlich wahrzunehmen. Sich zum Beispiel über die Gerichte zu wundern, die diese Menschen kochen, zu sagen: "Igitt, was essen denn die da?" Oder sich an Gerüchen zu stören. Ein häufiger Fehler ist auch, dass man sie als Bedrohung wahrnimmt à la: "Die nehmen alle unsere Jobs weg." Unternehmen wollen immer Antworten auf die Frage: Wie geht man mit anderen um? Aber das funktioniert so nicht. Es gibt in der interkulturellen Arbeit keine Allroundlösung.

STANDARD: Und gibt es überhaupt den Chinesen, den Deutschen oder den Amerikaner?

Breninger: Nein. Wie sich jemand verhält, ist von der Situation ebenso abhängig wie von den Erfahrungen, die er oder sie gemacht hat.

STANDARD: Aber es gibt sehr wohl gewisse Verhaltensweisen, die beispielsweise bei Amerikanern zu beobachten sind.

Breninger: Diese Muster sind oft Stereotype. Dass alle Chinesen kollektivistisch, also sehr an anderen orientiert, sind, und Amerikaner individualistisch, also nur das eigene Ziel vor Augen haben, das stimmt nicht. Denn in gewissen Situationen reagiert der "kollektivistische" Chinese individualistischer als der Amerikaner. Auf diesen nationalistischen Annahmen basieren ganze Typologien, die auch gelehrt wurden. Österreichische BWL-Studierende haben gehört: Wenn man einen chinesischen Geschäftspartner trifft, überreicht man ihm seine Visitenkarte mit zwei Händen. Und der chinesische Student hat gelernt: Wenn man einen Österreicher, sprich Europäer, trifft, reicht es, ihm die Karte mit einer Hand zu geben. Der Begegnung kam jegliche Authentizität abhanden, man trainierte sich einfach kulturelle Riten an. Beim Erwerb interkultureller Kompetenz kommt es auf etwas ganz anderes an.

STANDARD: Worauf?

Breninger: Man muss nicht nur umdenken, sondern auch anders fühlen lernen.

STANDARD: Klingt nach einer großen Aufgabe.

Breninger: Wichtig ist, eine gewisse kulturelle Sensibilität zu entwickeln, die es uns erlaubt, mit welchen Menschen auch immer in welchen Situationen auch immer zurechtzukommen. Sich ständig zu fragen: Warum irritiert mich das jetzt? Und weiter: Muss es mich denn überhaupt irritieren? Das kann in interkulturellen Trainings geschehen. Auch gemeinsame Erlebnisse helfen.

STANDARD: Zum Beispiel das Kochen typischer Gerichte?

Breninger: Vielleicht zu Beginn. Wir gehen beim Erlernen kultureller Kompetenz von mehreren Phasen aus, die man durchläuft. Die erste Phase ist die ethnozentrische. Da steht die eigene Kultur im Mittelpunkt, und andere werden auf gewisse Merkmale reduziert. Hierein würde das Kochen von nationalen Gerichten fallen, das Sie beschreiben. Oder auch die Aussage: "Alle Afrikaner tanzen so gut."

STANDARD: Mit welchen dieser Merkmale verstehen ausländische Studierende denn Österreicher?

Breninger: Zuerst ist ihr Bild natürlich immer sehr stark von Sound of Music geprägt. Aber nach und nach wandelt es sich und wird differenzierter. Denn auch Österreich ist natürlich mehr als Jodeln und Lederhosen. Das Ziel ist, dass die Studierenden mit einem ganz eigenen Eindruck in ihre Länder zurückkehren.

STANDARD: Also quasi in die nächste Phase kultureller Kompetenz kommen.

Breninger: Ja. Das wäre dann schon die ethnorelative. Hier misst man nicht mehr alles an der eigenen Kultur.

STANDARD: Was wäre die letzte Phase?

Breninger: Die gibt es nicht. Der Erwerb interkultureller Kompetenz ist ein lebenslanger Prozess. In diesem Sinn wäre die letzte Phase eine, in der man sich ganz lange befindet. Man ist dann fähig, verschiedene Perspektiven einzunehmen und zwischen ihnen zu wechseln. Ohne dass man sich das großartig bewusstmachen müsste. Und auch ohne zu werten – man hat diese positive Grundhaltung allen Kulturen gegenüber.

STANDARD: Welchen Stand hat interkulturelle Kompetenz in Österreich?

Breninger: Lange wollte man hierzulande nicht wahrhaben, dass Österreich ein Einwanderungsland ist, und meinte: Wir brauchen das nicht. An Hochschulen geht das Thema ebenfalls unter. Meistens wird nicht bei der Mathematik gespart, sondern bei der interkulturellen Kompetenz. Das ist meiner Ansicht nach ein großer Fehler. Wir beforschen das Thema seit Jahren, auch neurowissenschaftlich, und hier gibt es nun die Evidenz, dass Kultur "embrained", also "eingehirnt", ist. Das heißt: Das Gehirn passt sich ihr an. Derzeit stehen wir gesellschaftlich vor der Herausforderung, dass man gern als "politisch korrekt" wahrgenommen wird. Das Resultat: ein Rassismus und ein Sexismus, die viel subtiler sind. Diese Einstellungen können wir mittels moderner Methoden wie dem Eyetracking oder auch dem Gehirnscan untersuchen.

STANDARD: Wo es leuchtet, zeigt also, wie jemand denkt?

Breninger: So weit sind wir leider noch nicht (lacht). Aber wir können die emotionalen Reaktionen messen – und sie mit den Antworten, die jemand gibt, abgleichen. Wenn eine Testperson zum Beispiel eine Dame im Kopftuch präsentiert bekommt und sagt: "Das ist für mich völlig okay", es im Gehirnscan aber in gewissen Regionen wild aufleuchtet, wird hier vielleicht sogenannte soziale Erwünschtheit im Spiel gewesen sein. Sprich: Wir würden andere Ergebnisse bekommen, wenn wir "nur" fragen würden. Auch auf Refugee-Bilder reagierten die Leute übrigens sehr stark. (Lisa Breit, 29.10.2015)