Tobias Moretti stürmt in den Filmclub in Bozen. Er nimmt die Stiege in die Bar im ersten Stock im Laufschritt. In einer Stunde wird er im großen Saal vor mehr als 200 Besuchern den Film über den Südtiroler Bergsteiger und Filmemacher Luis Trenker vorstellen, in dem er die Hauptrolle spielt (Luis Trenker – Der schmale Grat der Wahrheit).

Moretti sitzt allein an einem Tisch, man weiß nicht, redet er mit sich selber oder telefoniert er. Der Schauspieler aus Tirol (er ritt schon im Alpinwestern von Andreas Prochaska, Das finstere Tal, durch das Südtiroler Schnalstal) war im April Gast bei den Bozner Filmtagen, einem kleinen regionalen Filmfestival, bei dem Dokumentar- und Spielfilme aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz gezeigt werden – 35 Jahre alt wird es bald. Das Kino mit drei Sälen ist eines von zwei Kinos in Bozen (ca. 103.000 Einwohner), daneben gibt es nur noch ein Cineplexx.

Der Fördertopf, aus dem seit 2009 gut 30 Millionen Euro ausgeschüttet wurden, lässt die Landschaft in noch schönerem Licht erscheinen: Da fliegt die Kamera gerne an den Drei Zinnen (Foto) vorbei.

14 Tage lang drehte Wolfgang Murnberger für den Trenker-Film in Südtirol – vom Filmclub aus ist es nur ein Spaziergang zur Villa in Bozen, in der Luis Trenker (von 1982 bis 1990) lebte. Südtirol fragt sich immer noch, wie es mit Trenker umgehen soll, der an einem Tag avantgardistische Filme wie Der verlorene Sohn drehte und sich am nächsten Tag in einen Nazi verwandelte, wenn er auf Joseph Goebbels traf.

Einen Tag vor Tobias Moretti stand Hubert von Goisern vor dem Publikum der Filmtage: Brenna tuat's scho lang, der Dokumentarfilm von Marcus H. Rosenmüller über den Erfinder der alpinen Rockmusik, wurde der Liebling des Publikums. Als Rosenmüller nach dem Kino auf die Straße trat, befand er sich auf dem Schauplatz eines seiner Filme. In der malerischen Dr.-Streiter-Gasse in der Altstadt waren Szenen für seinen Film Der Sommer der Gaukler entstanden.

Großzügige Filmförderung

In Südtirol werden seit fünf Jahren viele Filme gedreht. Es gibt dafür einen Grund: die großzügige Südtiroler Filmförderung, die mit fünf Millionen Euro im Jahr ausgestattet ist. Der Fördertopf, aus dem seit 2009 gut 30 Millionen Euro ausgeschüttet wurden, lässt die Landschaft in noch schönerem Licht erscheinen: Da fliegt die Kamera gerne an den Drei Zinnen vorbei. Der Symbolberg in den Dolomiten, ein beeindruckender Dreizack, spielt eine Rolle in den unterschiedlichsten Filmen.

In Honig im Kopf von Til Schweiger traben Didi Hallervorden als dementer Opa und Emma Schweiger als seine Enkelin an den Drei Zinnen vorbei, in Kripo Bozen, einer Krimiserie der ARD, ist der Berg ebenso Staffage wie in der Doku von Karin Duregger über die Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg über Südtirol und mit kräftiger Südtiroler Hilfe nach Südamerika entkamen. Und natürlich dürfen die Drei Zinnen auch nicht im Werbespot der BLS (Business Location Südtirol) fehlen, die im Auftrag der Landesregierung den Filmfonds des Landes Südtirol verwaltet.

"Das finstere Tal": gedreht zum Großteil im Südtiroler Schnalstal (2014).
Foto: Allegro Film / Thomas W. Kiennast

Ulrich Stofner, Direktor der BLS, sitzt nicht weit vom Filmclub im Glaspalast der Handelskammer. Er nennt die Zahlen: 130 Projekte, 1777 Drehtage (Stand: Juni 2015) seit Beginn der Filmförderung, 25 geförderte Projekte 2014. Die Fördersumme beträgt im Schnitt 250.000 Euro, für die seichte italienische Fernsehserie Un passo dal cielo mit Terence Hill in der Rolle eines Försters (Drehtage in Südtirol 2014: 134) hat man auch schon die Höchstsumme von 1,5 Millionen Euro hingelegt. Im Pustertal, wo die erfolgreiche Serie (6,5 Millionen Zuschauer) gedreht wird, hätte Til Schweiger leicht auf den ehemaligen Western- und Action-Komödien-Helden Terence Hill treffen können.

Die Südtiroler Filmförderung ist Wirtschaftsförderung. Sie umfasst: die Förderung von Filmproduktionen, Service für Produktionsfirmen, Auftritte auf Festivals, Aufbau einer Filmwirtschaft. Wer eine Förderung bekommt, ist verpflichtet, 150 Prozent der Förderung in Südtirol auszugeben. "Wir haben es", meint Ulrich Stofner, "zur bedeutendsten regionalen Filmförderung in Italien gebracht."

"Die Wolken von Sils Maria" mit Juliette Binoche und Kristen Stewart wurde in Cannes gezeigt.
Foto: filmladen

Südtirol förderte zum Beispiel: Elser – Er hätte die Welt verändert von Oliver Hirschbiegel (500.000 Euro Förderung), für den der Bürgerbraukeller in München in einem Obstmagazin in Terlan nachgebaut wurde. 30 Südtiroler Filmschaffende arbeiteten an dem Film mit, darunter Schauspielerinnen und Schauspieler wie Gerti Drassl (Vorstadtweiber), Anna Unterberger, Lissy Pernthaler, Martin Abram oder Anton Algrang. Die Wolken von Sils Maria (Oliver Assayas) mit Juliette Binoche und Kristen Stewart oder Turist von Ruben Östlund, die in Cannes gezeigt wurden. Oder Un boss in salotto von Luca Miniero, einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 2014 in Italien.

Hofer spielt natürlich auch mit

Die Hauptrollen im Südtiroler Film spielten lange Zeit Andreas Hofer, die Schicksalsberge und nach dem Zweiten Weltkrieg die heile Bergwelt. Den ersten (verschollenen) Film über Hofer datiert der Südtiroler Filmhistoriker Paolo Caneppele, Leiter der Sammlungen des österreichischen Filmmuseums, auf das Jahr 1909. Der erste erhaltene Hofer-Film Tirol in Waffen ist von 1913. Der Hofer zieht sich durch die Tiroler Filmgeschichte bis zu Raffl von Christian Berger und Freiheit des Adlers von Xaver Schwarzenberger mit Tobias Moretti in der Rolle des Hofer.

Polanski trieb für "Tanz der Vampire" Mitte der 60er den Pferdeschlitten über die Seiser Alm (Foto).
Foto: Südtirol Marketing/Frieder Blickle

Martin Kaufmann, der Gründer des Filmclubs, ist mit dem Kino im väterlichen Gasthaus in Welschnofen groß geworden – im Moment arbeitet er zusammen mit der Kulturjournalistin Renate Mumelter an einem Buch über Film und Kino in Südtirol. Er kennt sie alle die Geschichten: von Alfred Hitchcock, dem beim Dreh auf dem Timmelsjoch für The Mountain Eagle von der Höhenluft ständig übel wurde, vom Aufeinandertreffen von Luis Trenker und Leni Riefenstahl am Karersee 1926, als der Regisseur Arnold Fanck bei den Dreharbeiten für Berg des Schicksals die Diva in den eiskalten See trieb. Viele Jahre später kam die Riefenstahl wieder, 100 Jahre alt, machte am Arm von Reinhold Messner ein paar Schritte und wurde sehr schmallippig, als man sie nach ihrer Affäre mit dem Dritten Reich fragte.

Erst Riefenstahl, dann Pasolini

Als Regisseurin filmte Leni Riefenstahl in den 1930er-Jahren für Das blaue Licht mit Laiendarstellern aus dem Sarntal auf Schloss Runkelstein bei Bozen, nach dem Krieg diente das Schloss Pier Paolo Pasolini als Kulisse für seinen Decamerone, Roman Polanski trieb für Tanz der Vampire Mitte der 60er den Pferdeschlitten über die Seiser Alm.

Filmemacher wie Gottfried Deghenghi oder Karl Schedereit öffneten damals schon ein wenig den Horizont, Werner Masten (Die Walsche) arbeitete in den 80ern und 90ern viel für das deutsche Fernsehen, Dokumentarfilmer wie Carmen Tartarotti, Edith Eisenstecken und Tizza Covi (im Verbund mit ihrem Partner Rainer Frimmel) oder Andreas Pichler etablierten sich mit anspruchsvollen Produktionen. Und einer wie Andreas Pichler ist nicht nur Regisseur, sondern mit der Miramonte-Film und der Echo-Film in Bozen auch Produzent: Vier Dokumentar- bzw. Spielfilmprojekte treibt er gerade voran, darunter einen Spielfilm des jungen Südtirolers Michael Kofler über die Attentate in den 60er-Jahren.

Brigitte Hobmeier und Tobias Moretti in "Luis Trenker – Der schmale Grat der Wahrheit". In Südtirol sind seit Beginn der Filmförderung bis Juni 2015 bereits 130 Projekte an 1777 Drehtagen entstanden.
Foto: Thimfilm

Oder Matthias Lang. Der Regisseur aus Eppan, 28 Jahre, verfilmt gerade in Südtirol die Sage des Zwergenkönigs Laurin, sein erster Spielfilm. 1,2 Millionen Euro (von der BLS, dem Bayerischen Rundfunk oder auch vom ORF) stehen ihm zur Verfügung. Lang dreht auf Schloss Taufers, auf der Trostburg oder auf dem Sellajoch, wo er im Herzen der Dolomiten einen Turnierplatz hat aufbauen lassen. Mit einem Tross von 50 Leuten zieht er durch Südtirol, manchmal helfen ihm auch die Pfadfinder, Zelte aufzustellen, die Heimatbühne Sand in Taufers stellt die Komparsen in Rüstung, der Esel kommt auch aus dem Dorf und ist der Einzige, der sich den Anweisungen des Regisseurs widersetzt. Langs Film kommt im Frühjahr 2016 in die Kinos und ins Fernsehen.

500 Dienstleister, schätzt Ulrich Stofner, arbeiten in Südtirol heute für den Film. So einer wie der Spengler Peter Trenkwalder, der Kulissen baut, Plattformen für Krankameras liefert und mittlerweile auch die Buchhaltung erledigt, damit die Produktionsfirmen in Italien die "Tax credit", den Steuerausgleich, in Anspruch nehmen können. Für den Trenker-Film hat er die alte Kletterausrüstung getestet und mit Tobias Moretti Klettern geübt.

Andreas Pichler (im deutschen Fernsehen mit Dokus über Venedig oder Pier Paolo Pasolini vertreten) sagt: "Es ist eine Kreativszene entstanden. Die jungen Leute haben jetzt das Gefühl, sie können in Südtirol Filme machen." (Georg Mair, 9.12.2015)