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Nach dreieinhalb Jahren wieder Buhlen um Abgeordnetenmandate: Die Partei "Aus Liebe zu Ägypten, die Präsident al-Sisi nahesteht.

Foto: AP / Hassan Ammar

Nun bekommt Ägypten wieder, was zum institutionellen Repertoire eines modernen Staates gehört: ein Abgeordnetenhaus. Mehr als drei Jahre lang, ab Mitte Juni 2012, musste die ägyptische Res publica ohne so etwas auskommen: Die nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Winter 2011/2012 gewählte Volkskammer war ein paar Monate nach den Parlamentswahlen vom Verfassungsgericht aufgelöst worden, wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl, die der Muslimbruder Mohammed Morsi gewann.

Ein Rückblick: Beim ersten Urnengang der Post-Mubarak-Ära waren die disparaten liberalen und linken Parteien chancenlos gewesen: Der hohe Organisationsgrad der Muslimbruderschaft, die sich mit ihrer Sozialarbeit – in einem vor allem durch Autoritarismus präsenten Staat – Glaubwürdigkeit verschafft hatte, bescherte ihrer "Freiheits- und Gerechtigkeitspartei" (FJP) einen glatten Wahlsieg von mehr als 45 Prozent, ebenso in der zweiten Kammer, der (nach Morsis Sturz 2013 aufgelösten) Schura.

Hatten sich die Muslimbrüder nach dem Sturz Mubaraks noch zurückhaltend präsentiert, so gerieten sie nach den ersten gewonnenen Wahlen in den Sog des Machtstrebens: Entgegen früheren Ankündigungen stellten sie einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Mai 2012 auf (wobei FJP-Präsident Morsi gar nicht erste Wahl war).

Ein Drittel ungültig

Die ägyptische Justiz entschied im Juni 2012, dass die Wahl eines Drittels der Abgeordnetenkammer ungültig war: Es war für "Unabhängige" reserviert – die aber regelwidrig von Parteien gestellt worden waren. Umstritten war jedoch die Entscheidung, gleich die ganze Kammer heimzuschicken, auch Nachwahlen wären möglich gewesen. Das hätte aber wohl der Absicht der Verfassungsrichter widersprochen: Sie wollten das ganze Muslimbruder-dominierte Parlament ausschalten, wenn schon, was unmittelbar vor der Stichwahl abzusehen war, das Präsidentenamt an die Muslimbrüder fallen würde.

Nach seiner Wahl machte Morsi einen zaghaften Versuch, die Entscheidung umzustoßen, nahm davon aber wieder Abstand. Die Justiz schoss sich danach (ebenfalls zumindest anfangs mit Recht) auf die von Islamisten dominierten Verfassungskomitees ein: Als die Auflösung des zweiten solchen Komitees abzusehen war, schaltete Morsi die Justiz per Dekret aus, um seine Verfassung durchzubekommen. Damit begann der Countdown zu seiner Absetzung Anfang Juli 2013.

Fahrplan umgedreht

Der politische Fahrplan zur Rückkehr zur Demokratie, den der (von Morsi eingesetzte) Armeechef Abdelfattah al-Sisi damals vorlegte, sah Legislativwahlen noch vor Präsidentschaftswahlen vor: Das wurde stillschweigend umgedreht. Die Wahlen, bei denen der General und Feldmarschall zum ägyptischen Präsidenten gewählt wurde, fanden Ende Mai 2014 statt. Probleme mit dem Wahlrecht verzögerten dann die im ersten Halbjahr 2015 geplanten Parlamentswahlen noch einmal. Sisi operierte indes mit Dekreten.

Die neue Verfassung, die Sisi Ende 2013 durchbrachte, sieht ein starkes Abgeordnetenhaus – die zweite Kammer ist abgeschafft – vor, während der Präsident Macht einbüßte (Gewinner waren Justiz und Armee). Es ist ein Paradoxon der aktuellen Wahl, dass manche Parlamentarier in spe offen ihre Absicht deklarieren, den Präsidenten zuungunsten des Parlaments aufwerten zu wollen.

Das wird verständlicher, wenn man sich ansieht, wie das neue Parlament aussehen wird: Von 596 Sitzen werden nur 120 an Parteien vergeben, inklusive Quoten etwa für Frauen oder Christen. 448 gehören hingegen "Unabhängigen" – die allermeisten davon werden Sisi-Loyalisten sein. 28 Abgeordnete werden von ihm ernannt. Fünf Jahre nach dem Sturz Mubaraks wird das Kapitel Revolution also vorerst abgeschlossen sein. Den meisten Ägyptern und Ägypterinnen geht das nicht sehr nahe: Sie wünschen sich vor allem Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. (Gudrun Harrer, 19.10.2015)