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Der äthiopische Marathonläufer Haile Gebrselassie joggt mit Nachwuchssportlerinnen und -sportlern vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Foto: ap

Die Pubertät ist für Nachwuchsathleten eine problematische Zeit: Der Körper verändert sich grundlegend, und für Jugendliche besteht in der Wachstumsphase Überlastungsgefahr. Dies hat nicht allein biologische Ursachen, wie nun eine Studie am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen zeigt. Die Probleme seien auch auf Defizite in den Förderstrukturen des Nachwuchs-Spitzensports und auf problematische Trainingspraktiken zurückzuführen, sagt die deutsche Sportwissenschaftlerin Astrid Schubring.

Wissensmangel

Eine Rolle spielten zudem die im Leistungssport verbreitete Bereitschaft, gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen, sowie fehlendes Wissen der Jugendlichen selbst. In ihrer Dissertation "Wachstum als Herausforderung – Soziologische Analysen des Wachstumsmanagements jugendlicher Spitzenathleten und Nachwuchstrainer" untersucht Astrid Schubring, wie junge Sportlerinnen und Sportler ihre Wachstumsphase selbst erleben. Schubring´s Fazit: "Nachwuchsathleten erleben die Wachstumsphase vor allem dann als Krise, wenn ihr Körper sich nicht gemäß dem Ideal ihrer Sportart entwickelt, wenn die Leistungsentwicklung stagniert, wenn Überlastungsbeschwerden oder Verletzungen auftreten." Die befragten Jugendlichen trainieren zwischen 12 bis 30 Stunden in der Woche.

Hohe Erwartungshaltung

Von begabten Nachwuchssportlern werde erwartet, ihren Körper im Griff zu haben, sagt Schubring. Die körperlichen und psychischen Veränderungen der Pubertät könnten so zur Krise werden ‒ besonders weil Sportler sich gerade in dieser Zeit für einen Platz im leistungssportlichen Fördersystem bewähren müssten. Für ihre Dissertation führte die Wissenschaftlerin Interviews mit insgesamt 24 Athletinnen und Athleten, begleitete diese im Training und bei Wettkämpfen. Die 14- bis 18-Jährigen kamen aus den Sportarten Biathlon, Handball, Kunstturnen und Ringen. Zur Studie zählten ebenso Gespräche mit 16 deutschen Trainern auf Bundes- und Landesebene.

Eigentherapie

Um erfolgreich zu sein, hätten die jungen Sportler und Sportlerinnen häufig auf dysfunktionale Bewältigungsstrategien zurück gegriffen, indem sie ihr Trainingspensum in Eigenregie erhöhten, sich Selbstvorwürfe machten oder Symptome medikamentös behandelten. Probleme beobachtete die Sportwissenschaftlerin auch bei Karriereübergängen wie dem Wechsel in eine andere Förderstruktur oder Trainingsgruppe. Wechselten Jugendliche beispielsweise vom Heimatverein an einen Stützpunkt, seien sie oft nicht ausreichend auf neue Herausforderungen, wie intensiveres Training, erhöhter Leistungsdruck und stärkere Konkurrenz, vorbereitet. Auch sei die medizinische Betreuung im deutschen Nachwuchsbereich defizitär, beispielsweise verfüge nicht jeder Verband über physiotherapeutische Betreuung bei Nachwuchslehrgängen.

Wie die Interviews zeigten, unterschätzten Nachwuchsathleten öfters körperliche Beschwerden, blendeten langfristige Gesundheitsfolgen aus oder verschwiegen Schmerzen. Ohnehin sei das Herunterspielen und Ignorieren von Schmerzen im Leistungssport weit verbreitet.

Ein Sportler kennt keinen Schmerz

"Jugendliche passen sich hier einer Kultur an, die gesundheitliche Risiken für Spitzenleistungen in Kauf nimmt", sagt die Sportwissenschafterin. Um den deutschen Nachwuchsleistungssport nachhaltiger zu gestalten, empfiehlt Schubring auch das soziale Umfeld und Förderstrukturen einzuschließen. Trainingsintensitäten und Wettkampfteil-nahmen müssen bereits im Nachwuchsbereich stärker individualisiert werden, die Durchlässigkeit zwischen Altersklassen und Sportarten erhöht, die medizinische und physiotherapeutische Betreuung verbessert werden.

"Nachwuchsathleten und Athletinnen sollten gerade beim Übergang in den Bundeskader oder in die Nationalmannschaft systematisch betreut und in Wachstumsschüben regelmäßig untersucht werden," sagt Schubring. Trainer könnten durch Gespräche und eine offene Atmosphäre helfen, Schmerzen und Gesundheitsprobleme frühzeitig anzusprechen. Nicht zuletzt seien Verbände gefordert, mehr in Weiterbildung und berufliche Sicherheiten der Trainer zu investieren und Trainingskonzepte für eine langfristige Leistungsentwicklung zu unterstützen. (red, 19.10.2015)