Bunte T-Shirt-Welt in Montenegro.

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Erst Mitte Oktober kam es am Rande von Demonstrationen in Podgorica zu Ausschreitungen.

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Podgorica – Für kommenden Samstag hat das Oppositionsbündnis "Demokratische Front" in Montenegro neuerlich große Proteste angekündigt. Seit Wochen kampieren Demonstranten vor dem Parlament. Vergangenes Wochenende kam es zu Ausschreitungen als Demonstranten versuchten, näher in Richtung Parlament zu marschieren. Mindestens drei Oppositionsanführer und mehrere Abgeordnete wurden verletzt, darunter die Chefs der Demokratischen Front Nebojša Medojević und Andrija Mandić, die eigenen Aussagen zufolge brutal geschlagen wurden. Elf Personen – darunter Journalisten – wurden festgenommen. Eine Parlamentskommission soll nun die Vorfälle klären.

Die "Demokratische Front" fordert seit Wochen den Rücktritt von Premier Milo Ðukanović, der seit 1991 entweder als Premier oder als Präsident eine Führungsrolle in Montenegro innehat. An Ðukanović kommt man in Montenegro mit seinen bloß 620.000 Einwohnern nicht vorbei. Ähnlich wie im Sommer in Mazedonien, will die Demokratische Front Neuwahlen und davor eine Übergangsregierung erzwingen.

Eigentlich gegen Nato-Beitritt

Die montenegrinische Analytikerin Daliborka Uljarević beschreibt die Oppositionsbewegung als beschränkt. Viele Gruppen würden Vorbehalte haben, weil die Leute, die auf die Straße gehen, nicht dem progressiven Spektrum angehören. So kam etwa der Metropolit Amfilohije Radović zu den Protesten, der für seine intolerante gesellschaftspolitische Haltung und für seine Nato- und EU-Kritik bekannt ist. Manche Analytiker nehmen deshalb an, dass die Bewegung eigentlich gegen den Nato-Beitritt agitiert, der im Dezember beschlossen werden soll.

Doch so einfach ist die Sache nicht. "Die meisten der Demonstranten haben sicherlich eine negative Meinung über die Nato", meint Uljarević. "Aber dieses Motiv ist nicht dominant." Laut einer der letzten Umfragen sind zurzeit 52 Prozent der Bevölkerung für einen Beitritt – so hoch war die Zustimmung noch nie. Im Februar lag sie noch bei 42 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass die Regierung viel Geld für Pro-Nato-Kampagnen ausgibt, die dauernd im Fernsehen und im Radio zu sehen und zu hören sind.

Mängel bei Rechtsstaatlichkeit

Die USA gaben kürzlich bekannt, dass sie einen Nato-Beitritt unterstützen werden, wenn Montenegro Reformen durchführt und die Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft im Land steigt. Auch die meisten Nato-Mitgliedstaaten sind dafür. "Obwohl Montenegro im Bereich Rechtsstaatlichkeit nicht gerade die beste Leistung erbringt", wie Uljarević moniert.

Viele sehen es aber angesichts der russischen Aspirationen in Osteuropa als strategisch sinnvoll an, wenn Montenegro weiter weg von "Mutter Russland" rückt.

Die montenegrinische Opposition beteuert, dass Russland inhaltlich und finanziell nicht hinter den Demonstrationen steckt. Doch vor allem jene, die sich der serbischen Volksgruppe zurechnen, waren mit der Unabhängigkeit von Montenegro im Jahr 2006 nicht einverstanden und haben wegen des Kosovo-Kriegs im Jahr 1999 große Ressentiments gegenüber der Nato. Moskau betonte in der Vergangenheit, dass die Nato-Ambitionen von Montenegro den hunderte Jahre alten "brüderlichen Beziehungen" zwischen den beiden slawischen und christlich-orthodoxen Nationen entgegenliefen. Anders sieht das der montenegrinische Außenminister Branko Lukovac, der meinte, dass sich Russland "offen" in Montenegro einmische.

Gescheiterte Investitionen

Montenegro hat sich den Sanktionen der EU gegen Russland angeschlossen – und jenen gegen Libyen, wohin es in der Vergangenheit Waffen exportiert hat. In Montenegro gibt es zwar viele russische Touristen, doch die meisten Investitionen von Russen in dem kleinen Staat an der Adria waren nicht erfolgreich. Die neuen großen Investoren kommen – wie auf dem gesamten Balkan – vom Golf und nicht aus Russland, manche auch aus Aserbaidschan.

Tatsächlich ist der Nato-Beitritt aber eines der wenigen Vehikel, um die Regierung in Podgorica dazu zu bringen, aktiv zu werden, etwa gegen die organisierte Kriminalität und Korruption. Tatsächlich wurden in den vergangenen Monaten einige "große Fische" geschnappt.

Im August wurden der Bürgermeister von Budva, Lazar Rađenović und einige Beamte der Stadtverwaltung verhaftet. Ihm wird Amtsmissbrauch vorgeworfen und dass er das Budget frisiert habe. Insgesamt soll es um sieben Millionen Euro gehen. Unter den Festgenommenen sind auch der frühere Bürgermeister Rajko Kuljača und der Vizebürgermeister Dragan Marović. Marović wird sogar organisierte Kriminalität vorgeworfen. Er hat einen in Montenegro sehr wichtigen Nachnamen – er ist der Bruder des ehemaligen Präsidenten von Serbien und Montenegro Svetozar Marović. Verhaftet wurde auch Svetozars Tochter Milena Marović Bogdanović.

Erfolglose Appelle

Die EU fordert seit Jahren – ziemlich erfolglos – ein härteres Vorgehen gegen Korruption in Montenegro, es ist eine von sieben Prioritäten, die man in Brüssel hervorhebt. "Es gibt zwar jetzt keine institutionellen oder Gesetzesänderungen, aber viele Verhaftungen", so Uljarević. "Und das ist viel mehr als in den vergangenen Jahren." Die EU ist froh, wenn man den Beitrittsverhandlungsprozess irgendwie am Laufen hält. Große Schritte erwartet man schon lange nicht mehr. "Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir nicht irgendeinen dieser Staaten auf dem Balkan in die Hände von Russland treiben", sagte ein EU-Diplomat zum STANDARD. Er ortet in Brüssel "einen klaren Mangel an strategischem Denken", wenn es um den Balkan geht. (Adelheid Wölfl, 23.10.2015)