Das "Wohnzimmer Sonnwendviertel" ist eine Stadt in der Stadt.

Foto: Bruno Klomfar

Für die Allgemeinbereiche innen und außen hat der Bauträger Geld und Verantwortung in die Hand genommen.

Foto: Bruno Klomfar

Schaufelschluchtbrücke, Dornbirn. Für die "dramatische Präsenz" und "schaurige Schönheit" der Betonkonstruktion wurde das Amt der Stadt Dornbirn, Abteilung Tiefbau gewürdigt. Architektur: Marte.Marte

Foto: Marc Lins

Für die vorbildliche Fußgängerzone in der rechten Altstadt wurden Stadt Salzburg und IBT Bauträger Immobilien AG ausgezeichnet. Architektur: Erich Wagner und Eduard Widmann

Foto: Eduard Widmann

Die Tiroler Wasserkraft AG bewies mit ihrer Leitstelle samt Besucherzentrum in Silz Pioniergeist. Architektur: Bechter Zaffignani

Foto: Rasmus Norlander

Stiegenhaus einmal anders: Der Auftraggeber Omicron Electronics in Klaus, Vorarlberg, traute sich unter anderem über eine hightechgefräste Skulptur aus Holzschichten drüber. Architektur: Dietrich Untertrifaller

Foto: Architekten

Wohnheim Olympisches Dorf: Keine leichte Aufgabe, aber Stadt Innsbruck, Innsbrucker Stadtbau und Innsbrucker Soziale Dienste zogen an einem Strang – und kassierten dafür den Bauherrenpreis. Architektur: Artec

Foto: Lukas Schaller

"Darf ich Ihnen ein kleines Geheimnis anvertrauen? Aber schreiben Sie das dann auch so in die Zeitung?", fragt Ishrat Zafar. "Ach, ist doch egal." Sie bleibt in der Wohnungstüre stehen. Es riecht nach Curry und indischen Gewürzen. "Ich bin jetzt 40 Jahre alt, aber ich habe mein ganzes Leben lang niemals schwimmen gelernt. Ich komme aus Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, und da gibt es kaum Bademöglichkeiten. Da muss ich erst nach Wien kommen, um endlich zu schwimmen anzufangen!"

Die Einladung zur sportlichen Ertüchtigung im Schwebezustand ist in der Tat mehr als verlockend. Auf Stiege 1 gibt es ein Kellerschwimmbad mit Sauna, Dampfbad und Fitnessraum. Eintritt vier Euro, natürliches Tageslicht von oben, zwei Automaten für Cola und Kaffee, und sogar eine Südseekulisse mit Palmenstrand und azurblauem Wasser ist da.

Jeden Montag ist Frauentag. Vor allem von den muslimischen Bewohnerinnen und Anrainerinnen aus der Umgebung wird das Angebot rege genutzt. An manchen Tagen, sagt Fatima, die zehnjährige Tochter, die bereits ins Gymnasium geht, stehen die Frauen Schlange bis nach draußen. "Manchmal gehe ich mit. Ich finde das Frauenschwimmen voll cool."

Würdigung der Bauherren

Am Freitag wurde das "Wohnzimmer Sonnwendviertel", so der offizielle Name des Wohnbauprojekts im Hinterland des neuen Wiener Hauptbahnhofs, als eines von insgesamt sechs Gebäuden mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2015 ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand im Werkraum Bregenzerwald in Andelsbuch statt. Der Ort ist kein Zufall, schließlich ist Peter Zumthors Handwerkerhaus einer der Preisträger des letzten Jahres.

"Üblicherweise gehen Architekturpreise an die Architektinnen und Architekten", sagt Marta Schreieck, Präsidentin der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs (ZV). "Mit diesem Preis jedoch möchten wir all jene Menschen vor den Vorhang holen, die diese Leistungen überhaupt erst ermöglichen, ja sogar einfordern. Es ist eine Würdigung der offenen, qualitätsbewussten Bauherren und Auftraggeberinnen. Ohne diese wäre die Architektur in Österreich nicht da, wo sie heute ist."

15 Meter lange Tafel

Drei lange Riegel, viel Beton, verzinkter Stahl an der Fassade und jede Menge durchgeometrisierte Architekturkomposition im Bereich der Loggien und Balkone. Aufgelockert wird die strenge Erscheinung der Wohnhausanlage von drei roten, achtgeschoßigen Skulpturen im Innenhof. Mittels gummientengelber Brücken, die im dritten und vierten Stock durch die Luft pfeifen, werden die insgesamt 427 Wohnungen zu einer zusammenhängenden Stadt in der Stadt verbunden.

Zu so einer Stadt gehören aber nicht nur private Wohnräume, sondern auch öffentliche und halböffentliche Einrichtungen. Und davon gibt es im Wohnzimmer Sonnwendviertel jede Menge: Schwimmbad, Wellness-Center, Fitnessraum, Jugend- und Musikzimmer, eine Ausstellungsgalerie, ein kleines Theater mit Bühne und öffenbarer Glasfassade, ein Mädchenzimmer, eine Kletterhalle, einen dreigeschoßigen Indoor-Spielplatz mit Rutschenlabyrinth (Selbstversuch, Tempo, Halleluja), eine Gemeinschaftsküche mit Speisesaal, einen Grillplatz mit einer 15 Meter langen Tafel, ja sogar einen fix eingebauten Open-Air-Marktstand, der samstags von 8 bis 15 Uhr mit Bioprodukten aus den Bundesländern bestückt wird, zählen zum Ausstattungskatalog dieses vielleicht ungewöhnlichsten Wohnhauses Wiens.

Das Highlight jedoch, das sagen viele, ist der Kinosaal, der wie eine windschiefe Box im Betonwirrwarr des Stiegenhauses zu hängen scheint. Im Online-Kalender ist unschwer zu erkennen, dass das Home-Cinema mit seinen zwölf Sitzplätzen die nächsten drei Monate mehr oder weniger restlos ausreserviert ist. Vor allem die UEFA Champions League hat es den Vätern und Ehemännern angetan.

"Luxusapartment-Anlage"

Insgesamt, heißt es, betragen die Gemeinschaftsflächen rund sieben Prozent der Gesamtwohnfläche. Kein Wunder, dass das Projekt in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins (Schwerpunkt Immobilien) als "Luxusapartment-Anlage" mit "Vollkommunikation" bezeichnet wird.

"Ich habe noch nie zuvor so eine Wohnhausanlage betreut", sagt Gerhard Weißkircher. Der 48-Jährige ist Geschäftsführer von IFSM und Facility-Manager vor Ort. Pardon, Concierge heißt es hier, wird man bei einer Führung durch die Räumlichkeiten korrigiert. "Jedenfalls war für mich von Anfang an klar, dass dieses Projekt einen, wenn nicht gleich mehrere Preise abkassieren wird. Es ist einfach perfekt."

Auch Christoph Nimmrichter, seines Zeichens Gartengestalter, der mit seiner Familie eine 64 Quadratmeter große Wohnung mit 60 Quadratmeter (!) großer Terrasse bewohnt, ist vom Wohnzimmer vor dem Wohnzimmer mehr als angetan. "Ich habe das Gefühl, dass man die Nachbarn in diesem Projekt rascher kennenlernt als in anderen Wohnhausanlagen. Es hat fast eine Art Dorfcharakter. Und das sage ausgerechnet ich, der immer in Altbauten gelebt hat und dem Neubau so skeptisch gegenüberstand!"

55 Millionen Euro Gesamtbaukosten

Die Architekten hinter dem vor einem Jahr fertiggestellten Wohnzimmer Sonnwendviertel sind die drei Büros Klaus Kada, Studio Vlay mit Lena Streeruwitz und Riepl Kaufmann Bammer Architektur. Der hier wohlweislich ausgezeichnete Bauträger nennt sich win4wien, ein Zusammenschluss der vier Wohnbauträger Neues Leben, Neue Heimat, EBG und Mischek.

"Ich freue mich über den Preis, und ich hoffe, dass das Projekt in Zukunft viele Investoren und Bauträger inspirieren wird", sagt Michaela Mischek-Lainer von win4wien. "Es war eine ziemliche Herausforderung, das alles unter einen Hut zu bringen, und wir mussten intelligent und effizient planen, aber es ist sich ausgegangen."

Von den 55 Millionen Euro Gesamtbaukosten wurden von Anfang an 1,9 Millionen Euro fürs Schwimmbad und weitere 300.000 Euro für die Ausstattung der Gemeinschaftsflächen reserviert. "Dieses Budget war vom ersten Tag an sakrosankt", so Mischek-Lainer. "In diesem Bereich durfte kein einziger Cent eingespart werden." So muss Wohnen. (Wojciech Czaja, 25.10.2015)