Constanze Spieß hinterfragt Sprachbilder in der aktuellen europäischen Flüchtlingsthematik.

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Wie wir Sprache gebrauchen und was wir mit ihr (unbewusst) transportieren können, fasziniert Constanze Spieß seit Beginn ihrer Studienzeit. Dieses Interesse spiegelt sich sowohl in ihrer Dissertation, für die sie ein "diskursanalytisches Mehrebenenmodell" entwickelt hat, als auch in ihrem aktuellen Habilitationsprojekt mit dem Arbeitstitel "Linguistik der Metapher". Eine auf den ersten Blick eher trockene Materie, die aber selbst für Laien schlagartig an Leben gewinnt, wenn man sie auf aktuelle Mediendiskurse anwendet. Beispielsweise die Flüchtlingsthematik. Da ist immer wieder von "Flüchtlingsströmen" die Rede, von "Flüchtlingswellen" oder einer "Flüchtlingsflut", von ungeheuren Menschenmassen, die in Mitteleuropa "gestrandet" sind.

"Mit dieser Naturkatastrophenmetaphorik im gegenwärtigen Flüchtlingsdiskurs wird mehr oder weniger unbewusst auf etwas Großes, Bedrohliches und nicht wirklich Steuerbares verwiesen, das sich mit dem Flüchtlingsbegriff verbindet", erklärt die aus dem deutschen Bernburg bei Saale stammende Germanistin, die als Postdoc seit Sommer das Team des Grazer Germanistikinstituts verstärkt.

Die Imagination von Naturkatastrophen erzeugt Angst und ein Gefühl von Kontrollverlust – und genau dieser "Frame" werde mit der Verwendung solcher Metaphern aufgerufen. Selbst wenn die Begriffe in eine neutrale oder sogar "flüchtlingsfreundliche" Berichterstattung eingebunden sind.

Mittlerweile werden diese Begriffe derart häufig verwendet, dass sie selbst von vergleichsweise sprachsensiblen Menschen nicht mehr als Metaphern mit fragwürdigem Unterton wahrgenommen werden. "Metaphern aus dem Bereich der Naturkatastrophen tauchen in kontroversen Diskursen immer wieder auf", hat die 40-jährige Wissenschafterin beobachtet. So etwa auch in der medialen Diskussion um die Stammzellenforschung, die sie in ihrer Doktorarbeit sprachlich sezierte: Hier ging unter anderem die Angst vor einem "Dammbruch" um. Dabei schwinge das Unbehagen vor dem Überschreiten von Grenzen mit, die das Vertraute schützen. Auch in der Flüchtlingsdebatte spielen reale und metaphorische Grenzen eine zentrale Rolle: etwa wenn die "Grenzen der Belastbarkeit oder Zumutbarkeit" erreicht sind und als Folge Landesgrenzen dichtgemacht werden sollen.

Als Vertreterin einer modernen, sehr mobilen Akademikergeneration ist Constanze Spieß eine Grenzüberschreiterin: nicht nur in geografischer Hinsicht, sondern auch in puncto Bequemlichkeit. Immerhin ist sie nach Anstellungen an den Universitäten in Münster, Trier und Bonn mit der Familie – mit drei Töchtern und ihrem Mann – nach Österreich eingewandert. Da der Ehemann als Sozialethiker in Linz arbeitet, muss die Wissenschafterin – wie zuvor schon in Deutschland – pendeln.

"Vier Tage bin ich derzeit in Graz, den Rest der Woche bei meiner Familie in Linz." Keine einfache Sache, aber wenn der Alltag streng durchgeplant wird, eine praktikable Lebensform. So bleibt an den drei Graz-Abenden immerhin Zeit für die Oper, Konzerte und Theater. Und natürlich für die "Linguistik der Metapher", die in den nächsten zwei Jahren fertig werden soll. (Doris Griesser, 1.11.2015)