Kaum jemand würde dem serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić vorwerfen, er sei im Allgemeinen kein zuverlässiger Partner der Europäischen Union: Serbien hat im Jänner 2014 die Beitrittsverhandlungen mit der Gemeinschaft begonnen; man arbeitet fleißig an der Eröffnung der ersten Kapitel und setzt Wirtschaftsreformen durch. Die Regierung führt eine friedliche Nachbarschaftspolitik. Selbst in der Kosovo-Frage ist man kooperativ. Und Lob aus Brüssel bleibt in den meisten Fragen nicht aus.
Doch da ist das im Volk geliebte Mütterchen Russland, von dessen Gas Serbien abhängig ist. Und da ist die verhasste Nato, die Serbien 1999 drei Monate lang bombardiert hatte. Es war ein richtiges Kunststück, wie sich der ehemalige Ultranationalist Vučić vor sieben Jahren über Nacht in einen prowestlichen Politiker verwandelte und später die absolute Mehrheit mit einer proeuropäischen Politik gewann.
Er konnte seine antiwestlich und antieuropäisch gesinnten Wähler überzeugen, dass die Mitgliedschaft in der EU im besten wirtschaftlichen Interesse Serbiens sei, doch dass man gleichzeitig freundschaftliche Beziehungen mit der slawisch-orthodoxen Schutzmacht Russland erhalten könne. Genau darum geht es Vučić bei seinem mehrtägigen Besuch in Moskau, der am Dienstag begonnen hat und bei dem ihn mehr als 120 Vertreter der serbischen Wirtschaft und gleich acht Minister begleiten.
Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew lobte nach der Ankunft seines serbischen Amtskollegen dessen gutes Russisch und sagte, dass Serbien seinen Export nach Russland in der ersten Jahreshälfte um 40 Prozent erhöht hätte. Vučić betonte die "ehrliche Freundschaft" Serbiens, das es trotz "enormen Drucks" der EU und der USA ablehnte, Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation zu verhängen. Er bedankte sich auch für die russische Unterstützung im UN-Sicherheitsrat, wo Moskau die Anerkennung einer Unabhängigkeit des Kosovo blockiert. Die Stimmung war herzlich, man war unter Freunden. Damit die slawische Liebe seinen westlichen Partnern doch nicht zu viel wird, sprach Vučić dann von aber auch von einer "Freundschaft auf rationaler Grundlage". Mehrere Wirtschaftsverträge im Bereich der Energie, des Transports, der Industrie und der Landwirtschaft wurden unterzeichnet.
Auch Rüstungskooperation
Vucic sprach auch von einer Zusammenarbeit mit der russischen Rüstungsindustrie, denn Serbien müsse reagieren, wenn "andere mit ballistischen Raketen aufrüsten". Damit meinte er Kroatien. Serbien wolle keine Auseinandersetzungen, so Vučić, doch es müsse auch in der Lage sein, seine Souveränität und territoriale Integrität verteidigen zu können.
Wegen der spezifischen Beziehungen zwischen Serbien und Russland tolerierte Brüssel bisher, dass Serbien seine Außen- und Sicherheitspolitik nicht der EU anpasste und gegen Russland keine Wirtschaftssanktionen verhängte.
Auf der anderen Seite betont Moskau seit der demokratischen Wende in Serbien vor fünfzehn Jahren, dass man nichts gegen eine Mitgliedschaft Serbiens in der Europäischen Union habe – sehr wohl aber gegen eine Mitgliedschaft in der Nato. Mit seinem Spagat zwischen Brüssel und Moskau nimmt Vučić auch Rücksicht auf Meinungsumfragen: 46,4 Prozent der Bürger Serbiens sind für eine EU-Mitgliedschaft, 63,1 Prozent für einen Bund mit Russland und 72,9 Prozent gegen eine Mitgliedschaft in der Nato.
Vučićs prowestliche Politik ist vielen Serben immer noch nicht ganz geheuer. Dagegen gilt sein ehemaliger politischer Ziehvater, Staatspräsident Tomislav Nikolić, noch deutlicher als ein Mann Russlands. Dass Vučić als beides gelten kann, wird er am Donnerstag zeigen, wenn er Präsident Wladimir Putin trifft. (Andrej Ivanji aus Belgrad, 29.10.2015)