Kinder mit und ohne Handicap verbringen auch in gemeinsamen Projektstunden den Schulalltag.

Foto: Regine Hendrich

Auch Elternobfrau Jutta Sobolak hat überlegt, ihren Sohn abzumelden, weil sie die intensive Betreuung von Lucas gefährdet sah. Der 16-Jährige hat Downsyndrom mit Autismus. "Die Ängste waren unbegründet", sagt Sobolak.

Wien – Im Turnsaal heulen die Werwölfe. Sie jagen Rehböcke und Hirsche durch den Raum. Als Unterschlupf dienen Höhlen, wo sich erschöpfte Tiere erholen können. Kinder haben die Höhlen aus Tüchern geformt, die über Turngeräte gelegt wurden. Und weil der Fantasie der Kinder keine Grenzen gesetzt sind und keine Grenzen gesetzt werden, streifen Schüler, die mit der Jagd nichts zu tun haben wollen, mit einem Hexenhut durch den Zauberwald. Oder sie treffen sich bei Vollmond in der Mitte des Turnsaals und lauschen Geschichten.

Alle Kinder sind mit Eifer bei der Sache. Welche Schüler schwerstbehinderte Kinder und welche Schüler ohne besondere Bedürfnisse sind, ist auf den ersten Blick nicht auszumachen. "Manchmal ist es am besten, wenn man die Kinder einfach tun lässt", sagt Direktorin Andrea Rieger. "Eine inklusive Schule muss man nicht machen. Sie ist einfach da. Die Kinder zeigen uns schon, wie es funktionieren kann."

Von der Sonder- zur Inklusionsschule

Seit Anfang dieses Schuljahres ist die Caritas-Schule "Am Himmel" in Wien-Döbling unweit des Cobenzls eine Inklusionsschule. Das bedeutet, dass Schüler mit und ohne besondere Bedürfnisse teilweise gemeinsam unterrichtet werden. Eine Klasse mit 24 Kindern wird nach dem Volksschullehrplan unterrichtet. 14 Kinder mit erhöhtem Förderbedarf zwischen neun und 17 Jahren folgen in drei Gruppen dem Sonderschullehrplan oder dem Lehrplan für schwerstbehinderte Kinder.

Bis zum Beginn dieses Schuljahres war die Einrichtung eine Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder. Gegen den Wunsch der Caritas, eine Inklusionsschule umzusetzen, legten sich seit 2014 Eltern und Lehrer quer – DER STANDARD berichtete. Sie befürchteten, dass eine adäquate Betreuung der Kinder mit besonderen Bedürfnissen nicht mehr möglich sei. Eine Umwandlung wurde von der Caritas für 2016/17 angepeilt.

Viele Schüler und Eltern wechselten

Bis Ende Juni 2015 wurden aber gleich 14 der 28 verbliebenen Schüler von ihren Eltern abgemeldet – aus Protest. Der Großteil wechselte in die private Clara-Fey-Sonderschule. Zudem verließen elf Lehrer die Caritas-Schule, nur fünf blieben.

Verweis auf UN-Konvention

Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien, bedauert, dass vielen Eltern und Lehrern die Ängste trotz Gesprächen nicht genommen werden konnten. Er verweist auch auf die UN-Konvention, die Österreich 2006 unterschrieben hat. Diese verpflichtet Länder, Rechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern sowie mehr Partizipation zu ermöglichen. "Das Bekenntnis ist nutzlos, wenn man es nicht mit Leben erfüllt", sagt Schwertner. "Es soll keine Restkinder, keine Restkinderschulen geben." Laut Bildungsministerium sollen Sonderschulen in Österreich bis 2020 die Ausnahme sein.

"Ängste unbegründet"

Auch Elternobfrau Jutta Sobolak hatte die Caritas im Vorfeld für ihren Schritt kritisiert und überlegte einen Schulwechsel für ihren Sohn Lucas. Der 16-Jährige hat Downsyndrom mit Autismus. "Die Ängste waren unbegründet", sagte sie am Mittwoch. Die Betreuung in Kleingruppen sei für den stillen Lucas weiterhin sichergestellt. Als im Turnsaal die Werwölfe heulen, ist Lucas aber bei all den anderen Kindern in der gemeinsamen Projektstunde live dabei. Für 2016/2017 gibt es in der Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht (Kosten: 153 Euro pro Monat) für fünf Kinder mit besonderen Bedürfnissen noch Platz. (David Krutzler, 29.10.2015)