Auf den ersten Blick mag das Konzept "Schulsprache Deutsch", auf das sich Oberösterreichs ÖVP und FPÖ in ihrem Arbeitsübereinkommen geeinigt haben, nachvollziehbar sein: Im Schulsystem gibt es viele Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache. Wenn sie alle nicht nur im Unterricht, sondern auch in den Pausen und auf dem gesamten Schulareal nur Deutsch sprechen würden, würde das ihre Sprachkompetenz erhöhen und eventuelle Abschottungen von Schülergruppen aufgrund ihrer Sprachzugehörigkeit reduzieren. Doch bereits beim zweiten Blick zeigt dieses Konzept schwere Mängel.

Wer sollte kontrollieren?

Das Bildungsministerium hat bereits einen dieser Mängel entdeckt und entsprechend reagiert: Die Deutschpflicht verstoße gegen die Menschenrechtskonvention und die Rechte der Kinder. Abseits der Menschenrechtsproblematik blieben uns die oberösterreichischen Regierungspartner die Antwort schuldig, wie eine solche Regelung überhaupt umzusetzen wäre und wer die mehrsprachigen beziehungsweise migrantischen Kinder bei ihrem Sprechen kontrollieren würde. Etwa ihre Schulkolleginnen und -kollegen, Lehrer oder ein zusätzliches Personal? Viele Fragen zu einem einfach klingenden tagespolitischen Vorschlag.

Von den Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache ein bedingungsloses Beherrschen des Deutschen zu verlangen und das mit einem Sprachgebrauchszwang zu verbinden, ohne gleichzeitig deren Sprachverhalten und Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen, greift aus sprachwissenschaftlicher und bildungspolitischer Sicht zu kurz und verspricht keinesfalls Bildungserfolge, ganz im Gegenteil. Da aber immer wieder aus der Politik die Forderung nach einer Deutschpflicht in der Schule kommt, wäre es durchaus angebracht, diese Forderung genauer unter die Lupe zu nehmen.

Einerseits ist die Unterrichtssprache an Österreichs Schulen seit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht Mitte des 18. Jahrhunderts die deutsche Standardsprache, Deutsch ist auch die nationale Amtssprache und die Muttersprache der Mehrheitsgesellschaft. Ihr Erlernen ist für die Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache also ein essenzieller Faktor ihres Schul- und späteren Karriereerfolgs. Da sind sich alle (bildungs)politischen Akteure im Land einig. Andererseits bestätigen nahezu alle relevanten sprachwissenschaftlichen Studien in Österreich und international, dass die stabile Erstsprachkompetenz der migrantischen Kinder für das Erlernen des Deutschen als Zweitsprache wesentlich ist. Es wäre nun legitim zu fragen, warum die österreichische Politik diese sprachwissenschaftlichen und pädagogischen Erkenntnisse seit Jahren ignoriert.

Muttersprache zuerst

Kinder im Schulsystem zu haben, deren Erst- und Zweitsprachkompetenz ungenügend ist, heißt gleichzeitig, ihre schlechten Chancen in Schule und Beruf zu zementieren. Das kann nicht im Interesse dieser Gesellschaft und ihrer Zukunft sein. Daher sind gerade von der Politik Maßnahmen gefordert, die im Fall der migrantischen Kinder sowohl ihre Erstsprache als auch Deutsch als Zweitsprache fördern. Österreichische Politiker und Bildungsinstitutionen dürfen sich nicht mehr davor drücken, den Eltern mit Migrationshintergrund auszurichten, mit ihren Kindern in der Sprache oder Varietät zu kommunizieren, die sie am besten beherrschen; im Großteil der Fälle ist das ihre Muttersprache.

Österreich ist eines der wenigen EU-Länder, die im Schulsystem bereits einen Muttersprachunterricht anbietet. Dieser wird immer noch lediglich als Zusatzunterricht und oft zu nicht attraktiven Uhrzeiten angeboten. Dieses Angebot gehört jedenfalls attraktiviert. Statt stets wiederholter politischer Parolen über die Notwendigkeit des Deutschlernens muss die Politik endlich die Rahmenbedingungen schaffen, dass alle Kinder flächendeckend auch tatsächlich eine qualitativ fundierte Förderung im Fach Deutsch bekommen.

Schließlich muss die österreichische Bildungspolitik dafür sorgen, dass aus den Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache kein billiges politisches Kapital mehr geschlagen wird. Für die persönliche Entfaltung ist die Beherrschung jeder Sprache – egal ob sie ein gesellschaftliches Prestige hat oder nicht – gleich viel wert. Anstatt die Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache zu stigmatisieren und von vornherein zu Problemfällen des Bildungssystems zu erklären, muss man ihnen in diesem System genug Chancen bieten, auch ihre Sprachidentität(en) zu erkennen und zu entfalten. Sie lediglich mit Sprachzwängen zwangszubeglücken und auf eventuelle daraus resultierende Bildungserfolge zu hoffen ist schlicht und einfach populistisch, unverantwortlich und nicht inklusionsfördernd. (Nedad Memić, 29.10.2015)