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Bestsellerautorin Charlotte Roche bringt ihren dritten Roman auf den Markt.

Foto: EPA/Jens Kalaene

Wien – Sprache muss ungestaltet sein, das erscheint als Charlotte Roches Literaturcredo: Sie plumpst einfach raus aus ihr, im Plauderton aufs Papier. Ganz natürlich, wie Kacke. So wirkt es immer, wenn die Frau ein neues Buch vorlegt.

Mädchen für alles ist der dritte Roman der einstigen Musikfernsehmoderatorin und nunmehrigen "Bumsbuchtante" (Jan Böhmermann). Gegen die Damenhygiene-Hysteriemaschinerie hat sie in Feuchtgebiete angeschrieben, in Schoßgebete Sex und Familie auf eine Heizdecke gebracht. Beide waren Megaerfolge. Mögen sie auch literarisch dürr gewesen sein, für Aufregung haben sie gesorgt. Und, ja, nebenbei vielleicht sogar ansatzweise Ernsthaftes geleistet: ein neuer Feminismus?

Doch diesmal? Ich-Erzählerin Christine Schneider ist unsympathisch wie keine von Roches Heldinnen zuvor. Mitte 30 und gutsituiert verheiratet, ist Chrissi Hausfrau und Mutter – wenn man das so nennen will. Denn Töchterchen Mila hat sie bloß, weil ihr der Druck im Beruf zu groß wurde. So konnte sie aufhören zu arbeiten. Kind liegt ihr aber ebenso wenig, sie vernachlässigt es sträflich.

Selbermachen geht nicht

Gleich wie das Heim, in dem sie sich nicht zu Hause fühlt, obwohl sie und ihr Mann "viel Geld ausgegeben (haben), damit es aussieht wie das von allen in unserem Alter und mit unseren Berufen". Und natürlich gibt es auch einen Kaffeevollautomaten. Denn was man kaufen kann, das klappt hier. Bloß was man tun kann, geht daneben.

Mit der emotionalen Stabilität einer Pubertierenden und selbstbeherrscht wie eine Durchgeknallte ist Chrissi im Leben nämlich gleichermaßen antriebs- wie hilflos. Dem Gatten fühlt sie sich mittlerweile dann am nächsten, wenn er sich um sie kümmern kann. Einmal schmiert sie sich Salbe ins Auge und brüllt los. Als er angelaufen kommt, "guckt (er) mich ganz besorgt an, das find ich schön. Deswegen hab ich auch gerne mal was, das bringt uns zusammen, irgendwie."

Ansonsten findet sie Jörg weich und schwach. Man könnte "stabil" dazu sagen – doch auch das muss für Chrissi einem Schimpfwort gleichkommen, ähnlich wie alkohol- und drogenfrei. Dabei ist sie eh schon runter auf weniger als fünf Bier pro Serienabend vor dem Fernseher. Vor Sex mit ihm graut ihr, seit eine Freundin, die nun natürlich nicht mehr ihre Freundin ist, mutmaßte, er könnte schwul sein.

Fingern, lecken, einseifen

Bloß ein Gutes muss man ihm lassen: Er hat ein Kindermädchen besorgt. "Ich kann alles und mache alles. Babysitten. Aufräumen. Erledigungen. Putzen. Gassi", stand am Schwarzen Brett im Bioladen, wo Roche die Buchidee tatsächlich herhat. Nebenbei: Wo Autobiographisches aufhört und die Erfindung anfängt, ist bei Roche nie ganz klar. Jedenfalls hat sie bzw. Chrissi eigenmächtig noch 'Sexspielzeug' auf die To-do-List gesetzt.

So unterlegen Chrissi sich in ihrer Ehe fühlt, so sehr erregt sie die mit dem Arbeitgeberdasein empfundene Macht über die viel jüngere Marie. Dabei wird jene vor allem zum Babysitter für Chrissi selbst: fingern, lecken, einseifen. "Leckschwester-Action" nennt Roche das. Und man kann sich vorstellen, wie sie sich beim Tippen ob jeder Schmuddelei fiepsig kichernd und zufrieden die Hände rieb.

Doch die große, unbändige Freude am Körperlichen, die man etwa von Gemüseeinschieberin Helen Memel kennt, ist verflogen. Roche benennt es zwar immer noch gerne, aber Chrissi kann nicht einmal pupsen, wenn jemand mit ihr im Haus ist. Statt Spaß hat sie Komplexe, etwa beim Zählen der "Hexenhaare", die um ihre Brustwarzen zu wachsen beginnen. Das ist schrecklich schade. Denn was man der 37-jährigen Bestsellerin bisher sehr zugute halten konnte, waren das Selbstbewusstsein ihrer Protagonistinnen und deren ehrliche Freude am eigenen Körper und dem Dreckigen.

Eine pornöse Übertreibung?

Übrig davon bleibt in Mädchen für alles neben flach erzählten und seichten Charakteren in seiner Banalität kaum erträglicher, zäher Denkdurchfall. "Mein ganzes Wissen über Menschen und wie man Menschen Gewalt richtig antut, ziehe ich aus Serien. Was habe ich eigentlich vorher gemacht? Die Menschen in den Serien sind meine Wahlverwandten. Ich habe sie viel lieber als meine wirkliche Verwandtschaft. Meine Wahlverwandten bekommen von mir so viel Zeit und Aufmerksamkeit, da bleibt für echte Menschen nicht mehr viel übrig", heißt es im glänzenden Prolog. Vergleichbares ist infolge leider nicht mehr zu lesen.

Bloß vereinzelt findet sich manch Perle. Etwa über die Orientierung des eigenen Hochleistungssexlebens am Porno. Sollte Roche solch Eskalation und Medienkonsum zum kritischen Prinzip des Buches erhoben haben, könnte es trotz Sprachschwäche ansatzweise doch wieder mehr sein als bloß eine publicitygeile Fäkalerzählung.

Und Chrissi einen deshalb so ärgern, weil sie eine Übertreibung ist, die unser Schrecklichstes darstellt: Jemand, der vor der Belanglosigkeit seines Lebens steht, dem die bürgerlichen Codes und Standards keinen Halt (mehr) geben, und der in seiner Hilflosigkeit nun beim Stumpfsinn angekommen ist. "Ein guter Mensch, der sein Leben auf die Reihe kriegt, hätte die Glocke noch gereinigt", denkt sie sich etwa beim Wechseln des Backofenlichts. Das ist so schön, weil es wahr ist.

Doch ob man dem Ganzen so viel zutrauen darf? "Man muss zugeben, dass man selbst ein Arschloch ist, dann macht es Spaß, das zu lesen", erklärte die Autorin die geeignete Rezeptionshaltung für ihr Werk unlängst. Gelesen haben muss man es nicht. (Michael Wurmitzer, 30.11.2015)