"Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" ist eine Frage, die den deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kemani (48) seit langem umtreibt. Nun hat sie der gläubige Moslem in einem Band mit 40 Bildbeschreibungen neu gestellt – und auf das Christentum erweitert.


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Wien – Als eine der beiden Töchter Navid Kermanis vor einigen Jahren in der Schule gefragt wurde, was denn ihr Vater so mache, lautete ihre Antwort: "Leseschreiber". Dieser Berufsbezeichnung kann der 1967 in Siegen als vierter Sohn iranischer Eltern geborene Schriftsteller, habilitierte Orientalist, Reporter (oft aus Kriegsgebieten) und deutsch-iranische Doppelbürger einiges abgewinnen. Lesen, so Kermani unlängst in einem Interview, sei für ihn "mindestens ebenso wichtig wie das Schreiben."

Gott ist schön

Die Bewegung zwischen verschiedenen Welten und Metiers, auf deren Korrespondieren Kermani nicht müde wird hinzuweisen, ist den Essays, Romanen und wissenschaftlichen Arbeiten dieses Autors seit seiner 1999 publizierten Doktorarbeit Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran eingeschrieben.

Von Anfang an bewegt sich Kermanis umfangreiches Werk zwischen den Polen Koran und Kafka, wie einer seiner Essaybände betitelt ist, zwischen Köln, wo er als unverdrossener Anhänger des 1. FC lebt, und Isfahan, wo seine Eltern aufwuchsen, zwischen Neil Young, dessen Musik durch seinen ersten Prosaband dröhnt, und Bachmessen, zwischen Literatur und Wissenschaft, zwischen Islam und Christentum sowieso.

Trotz, oder gerade wegen seiner umfassenden Bildung versteht sich Navid Kermani nicht als Wissender, sondern er sieht sich als einen, der sucht. Eindeutigkeiten sind von diesem Autor, der in Deutschland oft als gelungenes Beispiel für Integration herhalten muss, nicht zu haben.

Das Präsentieren schriftstellerischer Ware hinter dem "Verkaufsstand auf dem Meinungsbasar" ist Kermanis Sache nicht. Wird er allerdings zu Interviews gebeten, oder zu Reden eingeladen, bezieht er deutlich Position. So etwa 2005 in Wien, als er zum fünfzigsten Jahrestag der Wiedereröffnung des Burgtheaters über Flüchtlingsschicksale sprach, die damals kaum ein Thema waren, oder unlängst in Frankfurt bei seiner Friedenspreisrede, in der er die beträchtliche Mitverantwortung des "Westens" am Desaster im Nahen Osten thematisierte.

Immer wieder befasst sich Navid Kermani, stets vom eigenen Alltag und der eigenen Person ausgehend, mit Grundfragen und Grenzerfahrungen der menschlichen Existenz wie Liebe – auch körperlicher, der Geworfenheit des Menschen in die Existenz, mit Vergänglichkeit und Tod auch.

Und immer ist für den gläubigen Moslem Kermani dabei die mit alldem verbundene Frage "Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" nicht weit. Sie steht auch im Zentrum seines neuen Buches Ungläubiges Staunen. Über das Christentum (C.-H.-Beck-Verlag), das sich mit einer Religion befasst, die anders als der wortzentrierte Islam auch auf Bilder setzt.

Ein Bildnis machen

Und innere und äußere Bilder sind es auch, durch die Ungläubiges Staunen führt. Meditationen nennt Kermani die 40, jeweils nur wenige Seiten umfassenden Texte, die sich in drei Kapiteln und unter Titeln wie "Mutter", "Sohn", "Schönheit", "Hiob", "Elisabeth", "Wissen" oder "Tradition" mit Bildern, Begriffen, Heiligen und Ritualen des Christentums auseinandersetzen.

Zum kleinen Teil handelt es sich bei den konzentrierten Kurzessays um erweiterte Fassungen von Texten, die Kermani-Leser in Grundzügen aus seinem großen Roman Dein Name (2011), der Leben, Glaube, Liebe und Tod in eins führt, und aus einer Serie von "Bildbetrachtungen", die der Autor für die NZZ schrieb, kennen.

Allerdings ist Ungläubiges Staunen weit mehr als eine Kompilation disparater Texte zu Werken christlich abendländischer Meister wie Rembrandt (Lazarus), El Greco (Jesu Abschied von der Mutter), da Vinci (Hieronymus), Dürer (Hiob) und immer wieder Caravaggio – der "fleischlichste" Künstler mit der "dreckigsten" Biografie – bis hin zu Gerhard Richters vieldiskutiertem Kölner-Dom-Fenster, das manche lieber in einer Moschee sehen würden.

Vielmehr geht es dem Autor um die von Neugier geprägte Annäherung an eine für ihn von seiner Herkunft her nicht selbstverständliche Bild- und Glaubenswelt, und zwar sinnlich und radikal persönlich, denn immer sind die äußerst präzisen und vielschichtigen Bildbeschreibungen – von Kermani kann man, wenn nicht das Glauben, so doch das Sehen lernen – mit Persönlichem, Alltäglichem und den Fährnissen des Daseins verknüpft.

Die Parallelen zwischen Islam und Christentum arbeitet Kermani besonders an zwei Figuren heraus. Einerseits an dem von der IS in Syrien verschleppten Pater Paolo Dall'Oglio, der sich als Schüler Jesu sieht, "der in den Islam verliebt" ist – und am heiligen Franziskus, der allein, als eine "ganze Friedensbewegung" nach Syrien zog, nachdem er sich die innere Freiheit genommen hatte, sich gegen die Politik zu stellen und "Gottes Weg der Barmherzigkeit und des Mitleids anzunehmen" vermochte.

Ungläubiges Staunen ist in diesem Sinn ein Buch über die Liebe im Einzelnen und die Hoffnung im Ganzen. Letztere, daran lässt Kermani keinen Zweifel, kann nur eine gemeinsame Hoffnung sein. (Stefan Gmünder, 3.11.2015)