Mit ihrem Solo "Mahalli" im Tanzquartier Wien: Danya Hammoud.

Foto: Meike Lindek, Steven Morlier

Wien – Tanz und Performance aus Nordafrika und dem Nahen Osten zeigt das Tanzquartier Wien seit Jahren. Diese Aufmerksamkeit für die zeitgenössische Choreografie des arabischen Raums verstärkte sich ab 2009 auf Initiative der ehemaligen TQW-Dramaturgin Sandra Noeth. Mit deren Fortgang im Vorjahr hat sie allerdings nachgelassen.

Angesichts der politischen Entwicklungen nach den arabischen Aufständen und der aktuellen Flüchtlingsbewegungen wäre ein erneuter Fokus auf die Kunstschaffenden der betroffenen Länder kein Fehler. Diese Woche zumindest werden wieder einmal einige entsprechende Arbeiten gezeigt. Den Anfang machte am Mittwoch die Libanesin Danya Hammoud, und weiter geht es am Freitag und Samstag mit zwei Stücken, für die der Marokkaner Taoufiq Izeddiou zum einen mit Meryem Jazouli und zum anderen mit Elisabeth B. Tambwe kooperiert.

Hammoud (34) wurde in den bis 1990 dauernden libanesischen Bürgerkrieg hineingeboren. Das und die darauffolgenden Zeiten der politischen Instabilität und Konflikte in dem Land, das nicht ganz die Fläche von Oberösterreich hat, sind Prägungen, die 2011 von der Choreografin zu dem Solo "Mahalli" verarbeitet wurden. Die kurze, prägnante Arbeit hat bereits eine ausgiebige Tour durch Europa hinter sich und ist erst jetzt in einem Studio des TQW angekommen. Besser spät als nie.

Als Tänzerin im eigenen Stück fixiert Danya Hammoud das Publikum von Beginn an mit durchdringendem Blick. Und sie lässt es nur in wenigen Passagen aus den Augen, in denen sie ihm ostentativ den Rücken kehrt. In ihrem freizügig geschnittenen schwarzen Minikleid sieht sie aus, als wäre sie gerade auf dem Weg zu einer Party. Da steht eine normale junge Frau mit unbewegter Miene im Licht eines Scheinwerfers knapp vor den Stühlen der ersten Reihe. Der Raum ist von einem dunklen, gleichbleibenden Sound erfüllt. Langsam nur dreht sie sich zur Seite, dann um ihre eigene Achse. Ein Lächeln beginnt um ihre Lippen zu spielen, das immer künstlicher wird und schließlich abstirbt.

Konzentrierte Dehnung der Zeit

Der beständige Druck, unter dem Hammoud aufgewachsen ist, der politische Wahn, der ihren Körper bestimmt, und die Unsicherheit in ihrem Leben zeigen sich in diesem Tanz nicht durch einen widerständigen Ausbruch. Denn alle Bewegungen, die sie ausführt, bleiben bis zum Äußersten beherrscht. Das übersetzt die Spannungen, über welche die Künstlerin reflektiert, in eine konzentrierte Dehnung der Zeit. Darin drückt sie sich zu Boden, nimmt eine sphinxhafte Pose an, aus der sie sich sinken lässt, während der Sound einer drückenden Stille weicht. Jede nun folgende Wendung, jedes Sichdurchstrecken und jedes Abspreizen ihrer Extremitäten wirkt wie das Aufspannen einer unauslöschlichen Traumatisierung.

Zwischen dieser Darstellerin und ihrem überwiegend jungen europäischen Publikum liegen Welten. Hammoud illustriert nicht, gibt keine Erklärungen ab und verzichtet auf erlösendes Brückenbauen. Sie bietet weder Unterhaltung noch Didaktik. Vielmehr spiegelt sich in ihrem Blick etwas, das die Zuschauerinnen und Zuschauer angreift und erst ganz zum Schluss loslässt. Die Art dieser Eindringlichkeit bleibt im Unbestimmten. Dieses bleibt auch erhalten, wenn der Körper der Künstlerin in Wellenbewegungen gerät, wenn sie ihren Mund, zur Seite gewandt, zu einem stummen Schrei öffnet, und wenn sie ihren Schatten in den Bühnenhintergrund begleitet.

Keinen Moment lang driftet die Tänzerin dabei – und das ist die eigentliche Größe an dieser irritierenden Arbeit – ins Pathetische ab. Bleibt zu hoffen, dass Danya Hammoud auch ihr neues Stück "Il y a longtemps que je n'ai pas été aussi calme", an dem sie gerade während einer von Kulturkontakt unterstützten Residency am Tanzquartier gearbeitet hat, in Wien präsentieren wird. (Helmut Ploebst, 5.11.2015)