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Wien – Bei der EU-Kommission läuten wegen Österreich die Alarmglocken. Die heimische Staatsverschuldung ist auf beinahe 87 Prozent der Wirtschaftsleistung geklettert. Eindeutig zu hoch befand die Brüsseler Behörde bei der Präsentation ihrer Herbstprognose am Donnerstag. Sie reiht sich mit dieser Warnung in eine Reihe von Experten ein, die in den vergangenen Monaten von einer dramatisch schlechten Budgetentwicklung in Österreich sprechen.

Der streitbare Chef des Thinktanks Agenda Austria, Franz Schellhorn, schrieb etwa vor Kurzem auf NZZ.at: "Seit 1980 haben sich die Schulden der Republik verzehnfacht, während sich die nominelle Wirtschaftsleistung vervierfacht hat."

Auf den ersten Blick scheinen die Alarmisten recht zu haben: Bereits seit 2007 steigt Österreichs Verschuldung, ausgedrückt in Prozent der Wirtschaftsleistung kontinuierlich an. Da hilft es auch wenig, darauf hinzuweisen, dass diese Entwicklung exakt mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise und den großen Bankenrettungen einhergeht. Tendenz ist nun mal Tendenz.

Investoren befriedigen statt Kindergärten bauen

Ein hoher Schuldenstand ist vor allem deshalb problematisch, weil immer die Befürchtung im Raum steht, dass sich die Finanzierung für den Staat irgendwann nicht mehr ausgeht. Dieser Fall tritt ein, wenn die laufenden Zinszahlungen das Budget auffressen. Anstatt in Kindergärten und Bahnausbau, muss das ganze Geld dann aufgewendet werden, um Investoren zu befriedigen.

Wenn das geschieht, muss eine Regierung Steuern drastisch erhöhen und Ausgaben kürzen, was schlecht für die Wirtschaft ist. Griechenland ist ein Beispiel für ein Land, das gerade in einer solchen Abwärtsspirale feststeckt.

Wie sieht es aber in Österreich aus, drohen griechische Verhältnisse? Ein genauer Blick auf die Daten zeigt: nein. Tatsächlich gibt die Republik seit inzwischen fast 20 Jahren für ihre Zinszahlungen eine relativ konstante Summe aus, die jährlich zwischen sechs und sieben Milliarden Euro schwankt. Im selben Zeitraum ist die Wirtschaftsleistung aber deutlich gestiegen. Deshalb sinkt die Zinslast Österreichs, gemessen an der Wirtschaftskraft stetig.

Zinslast sinkt seit Jahren

Die höhere Wirtschaftsleistung führt auch zu höheren Einkommen und Unternehmensgewinnen, wovon der Staat in Form steigender Steuereinnahmen profitiert. Das hat zur Folge, dass die Republik auch einen immer kleineren Teil des Budgets für den Schuldendienst ausgeben muss.

Noch im Jahr 2005 musste der Finanzminister zwölf Prozent der Steuereinnahmen für Zinsen berappen. Heuer sollen es laut Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo nur mehr 8,1 Prozent werden.

Dass die Zinslast sinkt, hängt nicht allein mit der Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung, sinkt der Anteil der heimischen Ausgaben für den Schuldendienst schon seit Mitte der 90er-Jahre, also lange bevor die EZB den Leitzins auf null senkte. Zum einen vertrauen die Investoren Österreich offensichtlich, weshalb sie bereit sind, günstige Kredite an die Republik zu geben. Zugleich profitiert das Land davon, dass seit den 1980er-Jahren die Zinslast global sinkt.

Der Schuldenberg lässt sich heute leichter finanzieren als vor zehn, 20 Jahren. Das heißt nicht, dass sich niemand Gedanken zu machen braucht, "aber um sich ein akkurates Bild zu verschaffen, muss man auf mehr als nur eine Kennzahl schauen", sagt die Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller.

Die Regierung sollte sehr wohl, wie im Budgetpfad vorgesehen, danach streben, die Schuldenquote zu reduzieren, sagt die Ökonomin. Investoren könnten irgendwann doch skeptisch werden und Strafaufschläge verlangen. Auch eine Änderung der EZB-Zinspolitik könnte sich negativ auswirken. Schratzenstallers Position lässt sich mit den Worten "Handlungsbedarf ja, Grund zum Alarmismus nein" zusammenfassen.

Nicht nur Schulden steigen

Wenig hilfreich bei der Betrachtung der Lage sind auch manche Zahlenspiele. Die Wirtschaftsleistung BIP wird von Unternehmern und Bürgern jedes Jahr erwirtschaftet. Der Schuldenberg muss hingegen nur einmal abbezahlt werden. Die heimischen Verbindlichkeiten haben sich also seit 1980 nicht einfach verzehnfacht, während sich die Wirtschaftsleistung vervierfacht hat. Der letzte Teil des Satzes müsste korrekt lauten: Das BIP wurde 35-mal seit 1980 erwirtschaftet, der Output ist dabei um das Vierfache gestiegen.

Hinzu kommt noch ein Phänomen: In Österreich steigen nicht nur die Schulden, sondern auch die Privatvermögen. 2008 lag das Finanzvermögen, das aus Spareinlagen, Aktien und Lebensversicherungen besteht, bei 466 Milliarden Euro. Inzwischen ist diese Summe auf 591 Milliarden Euro angewachsen, wie die Oesterreichische Nationalbank meldet.

Das Nettovermögen ist in den vergangenen zehn Jahren immer stärker gestiegen als die Staatsverschuldung. Dieser Vergleich findet sich seit einigen Monaten in den Investorenpräsentationen der Öbfa, also jener Agentur, die die Schulden des Bundes managt. Das große Vermögen der Privaten ist eine der Stärken Österreichs, heißt es dazu bei der Öbfa, "wir führen das an, weil man die Schuldenentwicklung immer in einen Kontext stellen muss". ( András Szigetvari, 8.11.2015)