"In jedem von uns steckt ein bisschen Don Giovanni", meint der Bariton Josef Wagner. In der Inszenierung von Achim Freyer an der Volksoper Wien muss er aber nicht nur den triebgesteuerten Macho geben. Er darf auch Origami-Schmetterlinge verteilen.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: An Don Giovanni haben sich schon Generationen von Regisseuren und Sängern abgearbeitet. Wer ist der Frauenfan in der Inszenierung von Achim Freyer: der letzte aristokratische Freigeist oder ein zwanghafter Rammler?

Wagner: Achim Freyer zeigt den Don Giovanni eher als Prinzip. Er ist weniger der draufgängerische Typ, er ist den Dingen enthoben, der Unberührbare. Er ist ein Kunstliebhaber, verteilt Origami-Schmetterlinge ... Die "Steuerung" dieses Don Giovanni liegt eine Etage höher als üblich.

STANDARD: Wie war die Probenarbeit mit Achim Freyer, dem Gesamtkünstler und Nestroypreisträger?

Wagner: Anstrengend. Freyer geht über das Optische an die Sache heran. Das ist nicht immer sehr einfach für uns. Herkömmliche Interaktion findet weniger statt, das Ganze ist eher abstrakt – es schaut ein bisschen nach Puppentheater aus. Wir verwenden standardisierte, abstrahierte Gesten, die wir in Improvisationen entwickelt haben – jede Figur hat etwa fünf unterschiedliche. Die verwendeten Gesten sollen aber möglichst weit weg sein von dem, was gerade in der Musik passiert.

STANDARD: Ist das nicht sehr schwer?

Wagner: Es ist eine Herausforderung, aber wir Sänger lassen uns darauf ein. Es gibt da etwa einen Tisch, der sich dreht, er ist ein zentraler Teil des Bühnenbilds. Man kann ihn vielfältig deuten: als Uhr, die tickt, als Kompassnadel, nach der man sich richtet ... Ich verbringe einen Großteil des ersten Akts unter diesem Tisch. Donna Anna versteckt mich und Leporello unter dem Tisch, und wir kriechen da herum wie die Verrückten, wälzen uns mit dem sich drehenden Tisch mit, und irgendwann schauen wir wieder raus und singen unsere Sachen weiter.

STANDARD: Gibt es noch weitere Ungewöhnlichkeiten?

Wagner: Wir machen die Oper in einer deutsch-italienischen Mischfassung. Ist der Status der Figur eher aristokratisch, spricht sie Italienisch, ist sie bäuerlich, spricht sie Deutsch. Don Giovanni und Leporello sind eine Mischung von beidem. Ich wechsle oft mitten im Satz die Sprache, oder sogar mitten in der Arie, etwa in der Champagnerarie.

STANDARD: Sie kennen die Wiener Volksoper gut, waren hier von 2002 bis 2005 Ensemblemitglied. Eine schöne Zeit?

Wagner: Es war damals genau das Richtige. Ich bin ja direkt von der Musikhochschule an die Volksoper gekommen: Meinen ersten Auftritt am Haus als Barone Douphol in der Traviata von Hans Gratzer hatte ich am Vorabend meiner Diplomprüfung. Nach drei, vier Jahren an der Volksoper war's dann aber Zeit, neue Herausforderungen zu suchen.

STANDARD: 2013 haben Sie an der Stockholmer Oper Ihren ersten Jochanaan gesungen, an der Seite von Nina Stemme als Salome.

Wagner: Eine tolle Erfahrung, in diese Richtung soll's weitergehen, was das Repertoire anbelangt.

STANDARD: Wie viel Don Giovanni steckt in Ihnen?

Wagner: Ein bisschen Don Giovanni steckt in jedem, aber ich bin jetzt kein triebgesteuerter Macho. Und ich kann ja auch viel von meinen dunklen Seiten auf der Bühne ausleben, speziell als Bariton. Mir geht es ja als Opernsänger nicht in erster Linie um den Gesang, es geht mir um die Gschicht. Wenn ich in einem Rezitativ rumbrüllen und schreien muss, dann schreie ich. Ich würde mich schon als Sängerschauspieler bezeichnen. An der Rampe zu stehen und nichts anderes tun zu können, weil mich das von meinem Schöngesang ablenkt: Das ist nicht meins.

STANDARD: Einer Ihrer Lehrer ist der frühere Staats- und Volksopernstar Wicus Slabbert.

Wagner: Er ist mein großes Vorbild, ich liebe ihn. Ich habe ihn 1999 kennengelernt, da war ich Probencover an der Volksoper, bei der Oper Die Vögel von Braunfels. Wir hatten eine gemeinsame Szene, und danach habe ich ihn gefragt, ob er mich unterrichtet. Er hat ja gesagt, und ich geh noch heute zu ihm hin. Ich arbeite mit ihm Partien, putz die Stimme, bespreche mit ihm neue Rollenangebote. Er ist genial. (Stefan Ender, 13.11.2015)