Diabetes wird zum immer größer werdenden Problem – dieser Entwicklung muss man Rechnung tragen. Darin waren sich die Experten bei einer Diskussion anlässlich des Welt-Diabetes-Tags am 14. November einig.

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Wien – "Den Zucker haben", heißt es im Volksmund. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Die Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus hat mittlerweile ein epidemisches Ausmaß erreicht. Ein Grund zur Sorge, der sich zukünftig noch weiter verdichten dürfte. Darauf deuten zumindest jene Zahlen hin, die beim gemeinsamen Diskussionsabend von Standard und Sanofi im Vorfeld des Weltdiabetestages am 14. November genannt wurden.

Der Fokus der Veranstaltung im Haus der Musik: Prävention, Therapie und die Kosten dafür. Moderator Eric Frey vom Standard eröffnete das Gespräch mit einer wenig erfreulichen Bilanz: 430.000 diagnostizierte Diabetiker gibt es in Österreich, der Großteil leidet am Typ 2, dem nicht insulinabhängigen Diabetes. Weitere 150.000 Menschen sind Schätzungen zufolge bereits erkrankt, wissen aber nichts davon. In Summe also knapp 600.000 Betroffene.

Die Mühen der Prävention

Die größten Risikofaktoren waren an diesem Abend schnell benannt: "Der moderne Mensch ernährt sich nicht optimal und bewegt sich zu wenig. Dadurch wird sich die Anzahl der Erkrankten in den nächsten 20 Jahren auf eine Million Menschen in Österreich nahezu verdoppeln", zitierte Sabine Radl, Geschäftsführerin von Sanofi Österreich, aktuell vorliegende Prognosen.

Angesichts dieser Daten stelle die Früherkennung von Diabetes Typ 2 eine große Herausforderung dar, wie Elsa Perneczky von der Österreichischen Diabetesberatung betonte. "Im Schnitt sind Patienten acht bis zehn Jahre erkrankt, bis sie ihre Diagnose erhalten. Dadurch geht wichtige Zeit verloren, in der Diabetes womöglich sogar verhindert werden könnte." Ein Grund für die relativ große Anzahl nicht diagnostizierter Fälle: "Typ-2-Diabetes tut lange nicht weh", erklärte Bernhard Ludvik, Stoffwechselexperte und Präsident der Diabetes-Initiative Österreich.

Ein weiteres Problem: die Komplexität der Erkrankung. "Betroffene haben nicht nur mit einem hohen Blutzuckerspiegel zu kämpfen, sondern auch mit Bluthochdruck, erhöhten Blutfettwerten sowie möglichen Folgeschäden an Augen, Nieren und Nerven", ergänzte der Mediziner.

Hohe Kosten

Das verursacht Kosten, die der Gesundheitswissenschafter Wolfgang Harbacher von Joanneum Research in Graz errechnet hat. "Zwei Milliarden Euro jährlich. Das sind etwa fünf Prozent der Gesundheitsausgaben. Dabei entfallen allerdings nur 100 Millionen Euro auf die blutzuckersenkende, medikamentöse Therapie. Das meiste Geld wird für die Behandlung der Spätfolgen aufgewendet."

Den größten Effekt zur Senkung der Kosten hätte demnach eine funktionierende Früherkennung, rechnete der Experte vor. Mit der Vorsorgeuntersuchung und "Therapie aktiv", dem Gesundheitsprogramm für Diabetiker, gebe es zwar Angebote zur Prävention und zum Krankheitsmanagement, "doch diese werden erschreckend wenig genutzt", beklagte Reinhold Pongratz, Ärztlicher Leiter der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, die derzeitige Situation. "Und Menschen, die zur Vorsorgeuntersuchung kommen, sind meistens schon krank", ergänzte Ludvik.

Was die Sache nicht leichter macht: Die optimale Behandlung von Diabetes braucht Zeit und Personal. "Arzt und Patient müssen ein Team bilden – eine Beziehung, die idealerweise ein Leben lang hält", erläuterte die Internistin Ursula Hanusch. Zudem sollten Betroffene im Umgang mit der Erkrankung geschult sein. "Informierte Patienten verstehen die Erkrankung besser und können professioneller auf Blutzuckerschwankungen reagieren", ist Pongratz überzeugt.

Im Programm "Therapie aktiv" sind dafür zehn Stunden vorgesehen. Das von der Krankenkasse bezahlte Honorar: 690 Euro. "Damit muss der Allgemeinmediziner auch Diabetes- und Ernährungsberater sowie sportmedizinische Fachkräfte honorieren. Das ist für den niedergelassenen Arzt nicht kostendeckend", lautete die Kritik von Ursula Hanusch. Für chronische Erkrankungen sei das herkömmliche Abgeltungssystem nicht mehr zeitgemäß, pflichtete Otto Rafetseder vom Wiener Gesundheitsfonds bei und verwies darauf, dass in Wien derzeit mehr Patienten ambulant geschult werden als von niedergelassenen Ärzten, die "Therapie aktiv" anbieten.

Geld umverteilen

Ein Aspekt, den Gesundheitswissenschafter Harbacher bislang in der Diskussion vermisste, war, dass die Versorgung der Patienten wohnortnah sein müsse. Das gehe nur über die Primärversorgung. "Dann müssen Fachärzte im niedergelassenen Bereich für die zeitintensive Behandlung von Diabetikern auch adäquat bezahlt werden", machte Mediziner Bernhard Ludvik seinen Standpunkt klar.

"Dazu braucht es nicht zwingend mehr Geld. Es gilt die vorhandenen Mittel umzuverteilen, etwa auf mobile Schulungen, Prävention und Gesundheitsförderung", entgegnete Reinhold Pongratz. Ludvik dazu: "Die beste Diabetesprävention ist Bildung. Das ist aber ein Wunsch, der nicht so leicht in Erfüllung gehen wird." (Günther Brandstetter, 14.11.2015)