Es war kaum eine Stunde vergangen, als der französische Staatspräsident François Hollande nach den furchtbaren Anschlägen in Paris am Freitagabend den Kriegszustand für sein Land – und damit auch für ganz Europa – erklärte. Aus der Emotion des Augenblicks lässt sich diese martialische Rhetorik verstehen. Aber sie schwört Frankreich und seine Verbündeten auf einen Kurs ein, der dem der USA unter George W. Bush nach dem 11. September 2001 ähnelt. Und bevor sich Europa in einen Krieg verstrickt, sollte man die Lehren aus 9/11 bedenken.

Die Parallelen sind jedenfalls da. Der "Islamische Staat" ist zwar kein Staat, aber ein Staatsgebilde mit militärischer Macht, gegen das der Westen bereits Krieg führt. Er ist viel mehr Kriegsgegner, als es Al-Kaida und die Taliban je waren. Aber solche Kriege sind schwer zu gewinnen – wie der schon 14 Jahre alte Afghanistan-Krieg zeigt.

Zum Bild des Krieges haben nach 9/11 auch die Verbündeten der USA beigetragen, indem sie im Nato-Bündnis den Beistandsfall nach Artikel 5 ausriefen. Auf diese Symbolik, die viele Europäer nach dem US-Einmarsch im Irak bereuten, wurde diesmal zu Recht verzichtet. Viele Nato-Staaten sind im Kampf gegen den IS ohnehin dabei.

Die massive Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen seit 9/11 hat geholfen, zahlreiche Terrorkomplotte zu vereiteln. Doch die USA sowie der Rest der Welt zahlen einen hohen Preis dafür: den Verlust von Bürgerrechten, Privatsphäre und Freizügigkeit. Das trifft auch die Wirtschaft und die Universitäten. Das einst recht offene Einwanderungsland USA lässt selbst angesehene Akademiker aus manchen Ländern nicht mehr herein.

Auf die Frage, wie ein Rechtsstaat mit potenziellen Terroristen umgehen soll, fanden die USA keine Antwort. Guantánamo ist schändlich und sinnlos zugleich. In Europa ist das Problem noch viel akuter, denn dort lebt ein Heer von Rekruten in den eigenen Ländern. Ihre ständige Überwachung ist unmöglich. Und wer immer an eine Art der Sicherheitsverwahrung denkt, sollte sich die Bilder aus dem Gefangenenlager Guantánamo vor Augen führen.

Zumindest hat sich die US-Regierung nach 2001 bemüht, ihre muslimischen Bürger nicht zu marginalisieren. Darin liegt für Europa die Hauptgefahr der Kriegsrhetorik. Ein entschlossener Kampf gegen Terror lässt sich auch ohne Säbelrasseln führen. Ein "Krieg" gegen den Jihadismus aber droht viele europäische Muslime weiter zu entfremden. (Eric Frey, 15.11.2015)