Es gibt nur eine Handvoll Fotos von Demna Gvasalia. Um ihn zu kennen, muss man sich für den Pariser Mode-Untergrund interessieren.

Foto: Willy Vanderperre

15 Designer werken bei dem Label Vetements. Demna Gvasalia ist einer von ihnen. Statt komplett neue Looks zu kreieren, verändert man lieber Klassiker wie Hemden oder Hoodies nach dem eigenen Geschmack. Hier die Vetements-Kollektion für das kommende Frühjahr.

Foto: Willy Vanderperre

Turbulente Zeiten für die Modebranche. Große Namen wie Raf Simons oder Alber Elbaz gehen, dafür treten auf einmal No-Names auf. Angefangen mit Alessandro Michele, der Gucci vor zwei Saisonen eine komplett neue Ausrichtung gab und damit wieder auf die Überholspur brachte. Und nun Demna Gvasalia. Der georgische Designer, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, wurde am Ende der Modewochen zum Kreativdirektor von Balenciaga ernannt und tritt damit die Nachfolge von Alexander Wang an. Bei den Prêt-à-Porter-Schauen im März nächsten Jahres wird er seine erste Kollektion zeigen.

Die Ernennung sorgt für Diskussionen. Außerhalb der Modebranche ist Gvasalia den wenigsten ein Begriff. Um ihn zu kennen, muss man sich schon ein bisschen für den Pariser Mode-Underground interessieren. In dieser Szene wird er als das neue Wunderkind gefeiert. Denn Demna Gvasalia ist Sprecher und Gründer von Vetements, einer Marke, die seit ihrer Entstehung im März 2014 von sich reden macht. Allein die Idee, sein Label Vetements zu nennen! Das französische Wort für "Kleidung" – banaler kann ein Name für eine Modemarke kaum sein – aber eben auch nicht passender. Denn er beschreibt mit einem Wort das Konzept, wofür Vetements letztendlich steht.

Die Kleidung soll im Vordergrund stehen, nicht die Marke oder ein Designer. Vetements will weg von kurzlebigen Trends und abgehobenen Kollektionskonzepten. In der Mode wird dieser Ansatz auch gerne "wardrobing" genannt. Jedes Stück ist bis ins Detail durchdacht, Kollektionen bauen aufeinander auf, damit am Ende eine sinnvolle Garderobe entsteht, die sich auch saisonunabhängig tragen lässt. Ein Kurs, mit dem Hedi Slimane für Saint Laurent auch seit einiger Zeit bestens fährt.

Im Kollektiv arbeiten

An der Spitze von diesem neuen Hype-Label steht also Demna Gvasalia. Der sich selbst aber nicht als Chefdesigner bezeichnen würde, das stünde gegen seine Prinzipien. Seit Beginn der Marke sammelt er talentierte Kollegen um sich, mit denen er gleichberechtigt im Kollektiv arbeitet. Derzeit besteht die Gruppe aus 15 Designern. Ein bisschen erinnert das Konzept an Martin Margiela, der sich zeit seiner Karriere der Anonymität verschrieben hatte und mit dem Gvasalia oft verglichen wird. Schließlich war Martin Margiela mal sein Chef. Beide haben außerdem an der Modeakademie in Antwerpen studiert. Doch Gvasalia geht es weniger um die Geheimhaltung seiner Person als um den demokratischen Aspekt und die Arbeit im Team. Dass er als Gründer der Gruppe zunächst anonym blieb – erst Ende 2014 trat er an die Öffentlichkeit -, lag vor allem an seinen vertraglichen Verpflichtungen mit Louis Vuitton, wo er vorher als Senior Designer arbeitete.

"Da draußen gibt es so viele Kollektionen"

Die Idee für Vetements sei aus Frust wegen des Systems entstanden, erzählt der 34-Jährige. Deswegen, wie Kollektionen entstehen und welche Art von Mode heutzutage angeboten wird. Vetements möchte sich gar nicht erst den Druck machen, ständig nie Dagewesenes entwerfen zu müssen. "Da draußen gibt es so viele Kollektionen, so viel Mode", sagte Gvasalia der Welt am Sonntag. Da noch etwas draufsetzen zu wollen sei doch müßig. Er verändere die Dinge lieber so, wie sie ihm gefallen.

Im Klartext: Vetements gibt Klassikern wie Hemden, Military-Mänteln oder Hoodies einen neuen Look. Biker-Jacken bekommen Ärmel, die bis zu den Knien hängen, schlotterige Cargo-Hosen sind an der Seite aufgeschlitzt, und große Ganzkörper-Schürzen werden über Blusen getragen, als ob es gleich hinter die Metzger-Theke ginge. Nicht zu vergessen die recycelten Vintage-Jeans, inzwischen schon ein Kultobjekt. Um eine dieser begehrten Hosen herzustellen, werden drei alte Jeans zerschnitten, neu zusammengenäht und dann für 1025 Euro verkauft. Tausend Euro, ganz recht. Sosehr sich das Konzept von Vetements nach zusammengeschusterter Antimode anhört, billig ist das Ganze nicht. Auch das macht sicherlich den Reiz.

Schon während der Pariser Prêt-à-Porter Schauen im Oktober ging das Gerücht um, Gvasalia werde Chefdesigner von Balenciaga. Doch niemand wollte es so recht glauben. Der alternative Mode-Demokrat und das hochelitäre Luxuslabel? Kann nicht sein. Cristóbal Balenciaga, der sein Modehaus 1937 in Paris gründete, war so etwas wie ein Monarch, zu seinen Schauen kamen nur handverlesene Gäste. Gvasalia leitet sein Label dagegen antiautoritär und volksnah. Die letzte Show von Vetements fand in einem kitschigen, chinesischen Restaurant in Belleville statt und wurde mit einem quietschgelben T-Shirt mit DHL-Schriftzug eröffnet.

Saint Laurent, Gucci, Balenciaga

Doch die beiden Modeschöpfer stehen sich nicht so diametral gegenüber, wie man auf den ersten Blick meint. Cristóbal Balenciaga war bekannt für seine Liebe zu radikalen Formen und seine skulpturalen Entwürfe. Man denke nur an den Kokon-Mantel oder das Sack-Kleid. Auch bei Vetements stehen die Proportionen im Vordergrund, wenngleich die Ästhetik maskuliner ist. Jacken und Mäntel sind meist übertrieben groß geschnitten oder Silhouetten ins Extreme verformt.

Die Bosse der Kering-Gruppe, zu der die Marken Saint Laurent, Gucci und Balenciaga gehören, scheinen sich ihrer Sache jedenfalls sicher zu sein. In seinem Statement lobte François-Henri Pinault Gvasalias "einzigartigen Zugang zu diesem Metier". Er sei zuversichtlich, dass der georgische Designer, der erst kürzlich für den LVMH-Preis nominiert war, das Haus zum Erfolg führen werde. Es wäre nicht das erste Mal, dass Kering mit einem jungen, eigenwilligen Kreativdirektor auf die richtige Karte setzt. Hedi Slimane krempelte Saint Laurent von Grund auf um und verwandelte es in eine Marke für rockige Teenager. Und seit Alessandro Michele bei Gucci das Zepter in der Hand hält, steht das Label nicht mehr für schnöde Statussymbole, sondern für abgefahrene Slipper mit Fellsohle und übergroße Oma-Brillen. Die Kunden finden es offenbar gut. Laut "The Guardian" gehören die beiden Marken derzeit zu den meistverkauften Labels auf "Net-à-Porter". Auch Vetements ist dort im Sortiment.

Dass also Balenciaga sein Schicksal in die Hände des alternativen Gvasalia legt, ist ein gewagter Schritt, aber letztlich schlüssig. Vor allem in einer Zeit, in der die Mode ihr System angesichts der vielen Rücktritte überdenken muss, könnte ein Designer, der sich auf die Essenz von Kleidung konzentriert, gerade richtig kommen. Und so konzeptuell der Ansatz von Gvasalia auch klingt, letztendlich verfolgt er eine kommerzielle Linie: Mode soll Spaß machen und tragbar sein. Ob er für Balenciaga tatsächlich der richtige Mann ist, wird sich im Frühjahr bei seiner Debütkollektion zeigen. (Estelle Marandon, RONDO, 24.11.2015)