Foto: Max Lautenschlaeger

Wien – "Randlos" lautete vor fünf Jahren der Titel eines dreitägigen Literaturfestes in Bruneck anlässlich des fünfundsiebzigsten Geburtstages von Joseph Zoderer. Das Motto der Veranstaltung, zu der Autoren wie Peter Handke, Norbert Gstrein, Robert Menasse, Robert Schindel, Alois Hotschnig und Sabine Gruber, aber auch Verleger und Literaturkritiker wie Michael Krüger, Peter Hamm und Jens Jessen ins Südtirol reisten, war trefflich gewählt.

Denn viele Bücher und Texte Zoderers, der sich als "deutschsprachiger Autor mit österreichischer kultureller Prägung und italienischen Pass" bezeichnet, sprechen davon, dass es, wo ein inneres Zentrum fehlt, auch keine Ränder gibt. "Nichts war natürlicher als die Trennung, und es gab einen Grund zu hoffen in der Entfernung, lontano, sagte er, hinter mir ist Ferne und vor mir ist Ferne", schreibt Zoderer in seinem Roman "Lontano" (1984). Gerade diese Offenheit, man kann sie auch als Ortlosigkeit bezeichnen, führt dazu, dass sich Zoderers Werke früh schon mit dem Motiv der Grenze und deren zwischen Ich und Du, Welt und Vorstellung, Macht und Individuum, zwischen Schreiben und Leben vermittelnden Überschreitung auseinandersetzt.

Die Walsche

Am 25.11.1935 in Meran geboren, kam Zoderer 1940 als sogenanntes Optantenkind – seine deutschsprachigen Südtiroler Eltern hatten sich entscheiden müssen, entweder ins "deutsche Reich" auszuwandern, oder sich zu "Italianisieren" – nach Graz, wo er die Grundschule absolvierte. Ab 1948 besuchte er, seien Eltern waren mittlerweile ins Südtirol zurückgekehrt, für vier Jahre ein Gymnasium in der Ostschweiz. Nach drei weiteren Schul-Stationen im Südtirol, maturierte er 1957. Anschließend arbeitete Zoderer als Journalist in Wien (u.a. Kurier und Presse) und als Rundfunkredakteur (RAI) in Meran. Ab Ende der 1960er-Jahren trat Zoderer dann mit ersten politisch engagierten, ideologiekritischen Texten und Gedichten an die Öffentlichkeit.

In den 1970er- und 80er-Jahren legte er dann eine Reihe großer Romane wie "Das Glück beim Händewaschen", "Dauerhaftes Morgenrot" und "Lontano" vor, in denen Zoderer seine von Ziellosigkeit, Sehnsucht nach Ankommen und Lebens- und Liebeslust getrieben Protagonisten ins Handgemenge mit der Realität schickt. "Mein Stil ist die Ehrlichkeit", sagte Zoderer einst in einem Interview, und seinem Schriftstellerfreund Paul Nizon nicht unähnlich, führt auch für Zoderer allein die ästhetische Gestaltung, also die in Sprache gegossene Form, zu originärer Erkenntnis über das eigene Leben und die Welt.

In die deutsche und italienische Literaturgeschichte hat sich Zoderer auch mit seinem Roman "Die Walsche" (1982) eingeschrieben, in dem eine Frau für drei Tage aus der Stadt in ihr Südtiroler Dorf zurückkehrt, wo ihr Vater gestorben ist. Die Konfrontation mit Verbohrtheit, Selbstgerechtigkeit und einer "Erdäpfel und Krautkopfwelt" wird für die Rückkehrerin auch zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Verlogenheit. Eine Zeit lang wurde der Autor dann als Nestbeschmutzer und Verräter beschimpft, trotzdem gilt Zoderer, "lo crittore italiano die lingua tedesca", seither als eine Art glaubwürdige Autorität in Südtirolfragen, zu denen er sich auch öffentlich immer wieder streitbar äußert.

Der Schmerz der Gewöhnung

Dem Provisorischen, Offenen und Nichteindeutigen ist Joseph Zoderer thematisch auch in seinen letzten Romanen "Der Schmerz der Gewöhnung" (2002) und "Die Farben der Grausamkeit" (2011) treu geblieben. Im Erzählband "Der Himmel über Meran" (2005) schreibt Joseph Zoderer, der heute, Mittwoch, in Südtirol seinen 80. Geburtstag feiert: "Tatsächlich frage ich mich täglich, warum ich unter diesem geteilten Südtiroler Provinzhimmel herumlaufe und mich von Jahreszeit zu Jahreszeit quälen lasse von der Frage, wozu bist du hier, warum gerade hier?" Doch: "Unter diesem Südtiroler Himmel wandere ich mit dem Bewusstsein, dass alles Teil eines Lebensabenteuers ist, auch wenn dieses Glück nach Gülle stinkt – mir gefällt das Widersprüchliche, und ich leide mit." (Stefan Gmünder, 25.11.2015)