Wien – Damit Österreich aus der Negativspirale aus schwachem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit komme, müsse das Land unter anderem seine Steuerlast senken. Der Wirtschaft könnte man aber auch einen Schub geben, indem man Grund und Boden höher, Lohneinkommen dafür weniger besteuere. Das sagt der Präsident des deutschen Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Clemens Fuest, im STANDARD-Interview. Fuest löst 2016 Hans-Werner Sinn als Chef des Ifo-Instituts ab.

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STANDARD: Österreich war wirtschaftlich lange Vorreiter in der Eurozone, jetzt hinkt das Land beim Wachstum fast allen hinterher. Haben Sie eine Erklärung?

Fuest: Als Ausländer, noch dazu als Deutscher, bin ich vorsichtig mit Urteilen über Österreich. Aber von außen betrachtet gibt es zwei Erklärungsansätze. Zunächst haben Österreichs Wirtschaft und die Banken des Landes eine sehr starke Verbindung zu Osteuropa, dort gab es in den vergangenen Jahren eine krisenhafte Entwicklung, die sich jetzt aber umzudrehen scheint. Andererseits scheinen Länder, denen es gut geht, die Neigung zu haben, weniger darüber nachzudenken, was diesen Wohlstand eigentlich stützt.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Fuest: Österreich ist ein sehr erfolgreiches Land. Wenn man sich die vergangenen 15 Jahre anschaut, ist die Wirtschaftsleistung des Landes noch immer deutlich stärker gewachsen als die deutsche. Das verringert sich jetzt. Die Welt hat mittlerweile nachgezogen, es wird bessere Politik gemacht, das Wettbewerbsumfeld hat sich verändert. In Österreich ist es an der Zeit sich anzusehen, ob man nicht ein paar strukturelle Probleme angehen muss.

STANDARD: Zum Beispiel?

Fuest: Etwa die hohe Steuer- und Abgabenlast und den relativ großen Staatssektor. Kleine Arbeitseinkommen sind sehr hoch belastet, das Pensionsantrittsalter ist sehr niedrig, das belastet das Sozialsystem. Im Dienstleistungssektor stellt sich die Frage, ob er flexibel genug ist beziehungsweise ob man nicht Zutrittsbarrieren abbauen muss.

STANDARD: Sie sprechen die Gewerbeordnung an. Zum aufgeblähten Staat: Er ist zwar groß, nimmt man aber Finnland aus, fährt zum Beispiel Skandinavien mit einem noch größeren recht gut.

Fuest: Korrekt. Allerdings waren in Schweden die Steuern schon höher und dann ging es einfach nicht mehr. Bestimmte Dinge werden erst dann zum Problem, wenn sie nicht mehr durch anderes kompensiert werden. Wenn man in Schwierigkeiten gerät, muss alles auf den Prüfstand. Dass eine Abgabenquote wie in Österreich, die sich am oberen Ende aller Industrieländer bewegt, Beschäftigung und Wachstum beflügelt, glaube ich eher nicht.

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STANDARD: Sie haben in der Wirtschaftskammer darüber referiert, was einen guten Wirtschaftsstandort ausmacht. Was ist wichtig?

Fuest: Politische Stabilität, Ausbildung, Innovationskraft, die geografische Lage. Darauf hat man aber wenig Einfluss. Drei Bereiche kann die Politik gut steuern: den Arbeitsmarkt, Regulierungen und das Steuersystem.

STANDARD: Der österreichische Arbeitsmarkt gilt als flexibel. Reguliert wird manchmal zu viel, haben Sie schon gesagt. Was wäre beim Steuersystem zu machen, um dem Negativtrend entgegenzuwirken? Grund statt Arbeit besteuern?

Fuest: Das würde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit helfen. Studien zeigen, dass Grundsteuern, die man jährlich bezahlt, eher wachstumsfreundlich sind, während hohe Einkommenssteuern eher schlecht sind. Grund und Boden kann auch nicht davonlaufen.

STANDARD: Was ist mit der Erbschaftssteuer? Wir haben keine.

Fuest: Deutschland hat eine mit vielen Ausnahmen für Unternehmen. Wir tun so, als würden wir Erbschaften hoch besteuern, die großen Vermögen sind aber wegen der Betriebe raus. Das ist nicht gut. Es wäre viel besser, alles einheitlich zu einem niedrigen Satz, etwa zehn Prozent, zu besteuern. Im Rahmen einer Besteuerung nach Leistungsfähigkeit hat sie jedenfalls ihren Platz.

STANDARD: Ihre Studien zeigen auch, dass eine Senkung der Unternehmenssteuern helfen könnte.

Fuest: Wenn man die Steuern um zehn Prozent senkt, dann steigen die Investitionen im Schnitt um zehn Prozent. Es gibt auch mehr zu verteilen. Pro Euro weniger Steuern kommen 25 Cent bei den Löhnen an. Österreich hat lange entschlossen an den eigenen Standortbestimmungen gearbeitet, die Steuern gesenkt, eine attraktive Gruppenbesteuerung geschaffen. Andere Länder haben mittlerweile nachgezogen, da sollte man sich daran orientieren. Man muss sich das aber genau angucken, das Geld fehlt dann ja wo. (Andreas Sator, 26.11.2015)