Bleikerne kollidieren mit Rekordenergie im Large Hadron Collider. Dabei entstehen Temperaturen von vier Billionen Grad Celsius.

Foto: CMS/LHC/Cern

Genf – Vorwärts in die Vergangenheit, bis möglichst weit zurück zum Urknall. Das ist das Motto der neuesten Experimente, die zurzeit im Large Hadron Collider des Cern in Genf laufen.

Noch bis Ende dieses Jahres finden dort Kollisionen statt, bei denen so viel Energie frei wird, dass für Sekundenbruchteile ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma entsteht. Und dieser einzigartige Materiezustand dürfte auch kurz nach dem Urknall vor etwa 13,8 Milliarden Jahren geherrscht haben.

Normalerweise werden im größten Teilchenbeschleuniger der Welt, der im Vorjahr "aufgerüstet" wurde, Protonen zur Kollision gebracht. Aber es hat am Cern quasi schon Tradition, zuvor einige Wochen lang Blei-Ionen aufeinander zu schießen, seit heuer mit der gewaltigen Energie von 1000 Teraelektronenvolt. Die bei den Kollisionen erzeugte Energiedichte ist enorm und wurde auf der Erde so noch nie erreicht. Im Physikersprech sind das "rund 20 Gigaelektronenvolt pro Kubikfemtometer" – oder die 40-fache Energiedichte eines Protons.

Auch nicht wirklich besser vorstellbar: Die kollidierenden Bleikerne heizten ihre Umgebung für kurze Zeit auf mehr als vier Billionen Grad auf. Dieser Energiestoß erzeugte ein Quark-Gluon-Plasma und gleichzeitig Unmengen neuer Teilchen – denn nach Einsteins Formel E=mc² lässt sich Energie in Masse umwandeln.

Die ersten Kollisionen mit dieser Rekordenergie gelangen den LHC-Physikern am Mittwochvormittag. "Auch wenn die vollständigen Analysen noch nicht erfolgt sind, zeigen die ersten Kollisionen bereits, dass bei jeder frontalen Kollision zweier Blei-Ionen mehr als 30.000 Teilchen erzeugt werden", sagt Jens Jørgen Gaardhøje von der Universität Kopenhagen, der an den Experimenten beteiligt ist.

Bisher ließ sich dieses Quark-Gluon-Plasma nur für extrem kurze Zeit und in kleinsten Volumen erzeugen – die Energie reichte nicht für mehr. Weil nun aber dank der höheren Kollisionsenergie das Quark-Gluon-Plasma heißer ist und auch ein wenig länger anhält, werden sich seine Eigenschaften besser erforschen lassen. Den Teilchenphysikern gibt dies die Chance, mehr über diesen rätselhaften Materiezustand herauszufinden, der noch vor der Bildung der ersten Atomkerne und Atome existierte. (tasch, 26.11.2015)