Bild nicht mehr verfügbar.

Stählerner Koloss in der Lausitz: Die F60 ist 520 Meter lang, Besucher können auf 74 Meter Höhe steigen.

Foto: APA/DPA/Patrick Pleul

Die Gefahr, die schlafende Riesin zu übersehen, besteht nicht. Man fährt über eine einsame Landstraße, vorbei an geduckten kleinen Dörfern durch das ländliche Brandenburg. Ein Wald, eine Kurve und dann: "Bohaaaaa!" Mitten in der Landschaft liegt der größte Stahlkoloss dieser Art. Es sieht aus, als hätte ein Riese das Pariser Wahrzeichen zu Boden gedrückt.

"Wir nennen die F60 auch liegenden Eiffelturm", erklärt Gästeführer Peter und legt mit Stolz nach: "Aber die F60 ist 520 Meter lang, also 180 Meter größer." F60, das ist ein recht fantasieloser Name für den 11.000 Tonnen schweren Stahlkoloss, der bei Lichterfeld unweit des Lausitzer Seenlandes in die in brandenburgische Einsamkeit ragt.

Riesenmaschine

Er steht – ganz simpel – für Förderbrücke 60, ist die größte bewegliche technische Arbeitsmaschine der Welt und erinnert an eine Zeit, in der die Braunkohle noch einer der wichtigsten Industriezweige der DDR war. Mehr als 70.000 Menschen waren in 17 Tagebauen in der Lausitz (gelegen in Süd-Brandenburg und Ost-Sachsen) tätig. Über die Förderbrücken wurde der Abraum transportiert.

Die Kohle brachte dem Arbeiter- und Bauernstaat 80 Prozent seiner Energie, aber auch Dreck und Umweltverschmutzung. An ihre Oma in der Lausitz erinnert sich die Potsdamer Schriftstellerin Antje Ravic-Strubel, so: "Wenn sie in der Garten ging, roch die Luft nach Kohle. Sie zog sich eine dunkle Schürze an. So war der Kohlenstaub, der sich auf der Kleidung absetzte, nicht so schnell zu sehen. Wenn ich im Senftenberger See badete, kam ich mit schwarzer Halskrause aus dem Wasser."

Nach Wende und Wiedervereinigung sank der Bedarf an Braunkohle in Ost-Deutschland auf ein Sechstel der Spitzenförderung zu DDR-Zeiten. Heute arbeiten nur mehr 7.000 Menschen in dieser Branche, es existieren noch fünf Tagebaue, einer davon stellt vor Weihnachten den Betrieb ein.

Kohle als Identitätsstifterin

"Die Braunkohle hat für die Identität der Lausitz eine große Bedeutung. Sie hat die Region früher reich gemacht, fast jeder hier hatte irgendeinen Bezug zur Kohle", sagt Uwe Steinhuber von der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau und Verwaltungsgesellschaft m.b.H (LMBV).

Viele sehen daher die Braunkohle nicht als klimaschädlichen Energieträger, sondern betrachten den fossilen Brennstoff als Wirtschaftsfaktor und Lebensgrundlage. "Wir hätten hier noch 20 Jahre lang Kohle abbauen können", sagt vor der F60 auch Besucherführer Peter und das Bedauern in seiner Stimme ist deutlich zu hören.

Die Affinität zur Braunkohle war es auch, die die F60 in Lichterfeld gerettet hat. Nicht einmal eineinhalb Jahre bohrten sich die Eimerkettenbagger in den Boden, und wurde der Abraum über die Brücke weggeschafft, dann war im Juni 1992 auch schon wieder Schluss. Der Gigant sollte daraufhin verschrottet werden, doch die Gemeinde kaufte ihn und machte ihn zum Besucherbergwerk.

Highlight der Energieroute

"Auf geht‘s", sagt Peter, nachdem alle ihre Schutzhelme am Kopf haben. Dann erklimmt die Gruppe die F60, schraubt sich an armdicken Stromkabeln, Förderbändern in Matratzendicke und über viele Stufen bis auf 74 Meter hoch. Peter sorgt für technische Details, und jeder Satz hat einen unausgesprochenen Nachklang: Was für ein Jammer, dass die F60 nicht mehr in Betrieb ist.

Doch immerhin: Jetzt ist die Förderbrücke das Highlight der "Energieroute" durch die Lausitzer Industriekultur. 70.000 Besucher kommen jedes Jahr.

Von solchen Zahlen kann Bergbau-Experte Jörg nur träumen. Aber auch er ist froh, dass für die Energieroute ein weiteres Denkmal bewahrt wurde: Die 24 Biotürme aus rotem Backstein in Lauchhammer. "Es gab auch in der DDR_Bio", erklärt er deren Funktion: In den Türmen wurde das phenolhaltige Abwasser, das bei der Koks-Produktion anfiel, mit Hilfe von Bakterien gereinigt. 15.000 Arbeiter waren bis zur Stilllegung der Kokerei 1992 hier beschäftigt.

Gewaltige Lücken

Die Stilllegung der vielen Betriebe, die einst mit Braunkohle zu tun hatten, hinterließ im wahrsten Sinne des Wortes gewaltige Lücken in der Lausitz. Dort, wo Kohle abgebaut wurde, sind riesige Kraterlandschaften geblieben. Bis 2030 sollen sie verschwunden sein. Schon jetzt sind zwei Drittel davon geflutet, es entsteht nach und nach das Lausitzer Seenland.

"Wir schaffen aus den Braunkohlerelikten wieder etwas, was den Menschen nutzt", sagt Uwe Steinhuber. Im Partwitzer und im Geierswalder See wird schon längst geschwommen, gesegelt, gesurft, es gibt Sandstrände.

Andere Gewässer sind noch im Entstehen. Vielerorts ragen bizarre Gesteinsformationen aus dem Wasser, es herrscht unglaubliche Stille. Zum Rasten direkt am Ufer aber dürfen derweil nur Vögel kommen. Denn es dauert 10 bis 15 Jahre, bis Uferbereiche so stabilisiert sind, dass sie nicht plötzlich wegbrechen. Dass diese Seen etwas Besonderes sind, zeigen auch die vielen Schilder, die derzeit noch alle paar Meter am Ufer stehen: "Vorsicht, Lebensgefahr! (Birgit Baumann, 28.11.2015)