Egon Schiele: Das Aquarell "Frau, das Gesicht verbergend" ist nun ein Fall für die amerikanische Justiz.

Foto: Richard Nagy Ltd.

"Sitzender weiblicher Rückenakt mit rotem Rock" (1914) aus dem Bestand der Albertina. Der Kunstrückgabebeirat entschied (auch für die Zeichnung "Edith Schiele mit ihrem Neffen"): kein NS-Entzug. Eine Beurteilung, die von der für die Lostart-Datenbank verantwortlichen "Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste" ignoriert wird. Beide Papierarbeiten sind dort gelistet: das Aquarell und die Zeichnung.

Foto: Albertina, Wien

Wer glaubte, der in der Causa Fritz Grünbaum vom Kunstrückgabebeirat Mitte Oktober verlautbarte Beschluss würde Kalamitäten beenden, der irrte. Die von Österreichs oberster Restitutionsinstanz getroffene Entscheidung, zwei Arbeiten Egon Schieles aus dem Bestand der Albertina nicht zu restituieren, wurde von der Erbengemeinschaft zur Kenntnis genommen. Vorerst. Denn dort, wo Provenienzforscher, etwa auch für Werke im Leopold-Museum (2010), bislang keinen Tatbestand der Entziehung feststellen, ist er für die Nachfahren des Kabarettisten erwiesen.

Grünbaum war im KZ, die seiner Ehefrau Elisabeth erteilte Vollmacht zur rechtswirksamen Vertretung erfolgte also unter Zwang, betont Herbert Gruber, der gemeinsam mit der Hoerner Bank seit 1998 die Erben vertritt. Dass die ab Herbst 1938 bei einer Spedition eingelagerte Kunstsammlung im Verfügungsbereich der Familie geblieben sein muss, kümmert ihn nicht.

Denn ab 1952 hat Grünbaums Schwägerin Mathilde Lukacs begonnen, Teile der Sammlung an Eberhard Kornfeld (Bern) zu veräußern. Im November 1955 wurden die ersten Blätter von Egon Schiele versteigert, die letzten aus dem Lukacs-Fundus wechselten bei einer Verkaufsausstellung im Herbst 1956 den Besitzer. Unbekannte Privatsammler erwarben hier ebenso Schiele-Werke wie Rudolf Leopold oder auch der in New York ansässige Kunsthändler Otto Kallir. Ohne das Naziregime und Grünbaums Tod in Dachau, erläutert Gruber, wäre es nicht so gekommen. Sein Fazit: "Es ist Raubkunst."

Mitte vergangener Woche wurde über US-amerikanische Medien bekannt, dass Ray Dowd, Rechtsanwalt der Erben, in New York eine einstweilige Verfügung erwirkt hat: gegen den Londoner Kunsthändler Richard Nagy, der im Zuge einer Kunstmesse dort zwei Arbeiten Egon Schieles offerierte, die einst Grünbaum gehört haben sollen. Die Aquarelle Frau mit schwarzer Schürze und Frau, das Gesicht verbergend müssen bis zur Klärung der Causa im Land verbleiben.

Nagy ist seither für kein Gespräch erreichbar. Zu glauben, er sei hier unbeabsichtigt in die "Grünbaum"-Falle getappt, wäre naiv. Vielleicht hat es der Kunsthändler, eingedenk des jahrelangen Zinnobers, sogar bewusst riskiert. Auch namens seiner internationalen Klientel, die Werke dieser Herkunft besitzt. In einer schriftlichen Stellungnahme verweist Nagy darauf, dass es keine Anhaltspunkte für eine Grünbaum-Provenienz gebe. Lukacs habe diese Blätter zwar 1956 verkauft, sie könnten aber auch aus ihrer eigenen Sammlung stammen, die sie im Zuge ihrer Flucht nach Belgien im August 1938 aus Österreich exportiert hatte. Das sei keine NS-Causa, wenn überhaupt, dann ein innerfamiliärer Erbstreit.

33 Prozent Erfolgsbeteiligung

Am 1. Dezember trifft man sich vor Gericht. Was sich die Erben davon versprechen, zumal in drei Verfahren in New York kein Nachweis für eine Entziehung gelang? Nun, erklärt Herbert Gruber, "85 Prozent solcher Verfahren enden mit einem Vergleich". Das Ziel ist eine monetäre Einigung, etwa über eine Beteiligung am Verkaufserlös. Die Parteien bewerten die Werke unterschiedlich: Bei der Messe verlangte Nagy 500.000 bzw. 2,5 Millionen Dollar für die Blätter, Dowd nennt einen Gesamtwert von fünf Millionen Dollar. 33 Prozent jedweden Erlöses bekämen, gemäß der Vereinbarung mit den Erben, der Genealoge Gruber und die Hoerner Bank. Die bisherigen Einnahmen tröpfelten nur, seit 1998 angefallene Spesen, lässt der Wiener durchblicken, seien noch nicht gedeckt.

Wer glaubte, die Entscheidung des Kunstrückgabebeirates würde über die Grenzen Österreichs hinaus anerkannt, der irrt gleichfalls. Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, seit Anfang des Jahres für die Lost-Art-Datenbank verantwortlich (234 Grünbaum-Einträge), ignoriert sämtliche Forschungsergebnisse und Beschlüsse in dieser Causa. Laut den "Grundsätzen zur Eintragung und zur Löschung von Meldungen" sei man bestrebt, "die Meldungen dem aktuellen Forschungsstand stetig anzupassen". Hierbei sei man jedoch auf "Angaben und Informationen der Melder angewiesen", ist man um eine Erklärung bemüht.

In der Praxis wird redlichen Eigentümern also der Anspruch auf wahre Tatsachenbehauptung verwehrt und ist einzig die Meinung der Melder maßgeblich. Letztere sind die Erben nach Grünbaum, die, wie die New Yorker Episode belegt, mit der für Provenienzforscher unbelegbaren Behauptung, es handle sich um NS-Raubkunst, Besitzern solcher Kunstwerke einen Vergleich abnötigen wollen.

Ertragreiche Seite

Betroffen sind Museen, deren Schützlinge (u. a. Tote Stadt III, Leopold-Museum) für den Leihverkehr gesperrt sind, und Privatsammler, deren Eigentum unverkäuflich ist. Dem Vernehmen nach verweigerte etwa Christie's kürzlich die Übernahme eines solchen Werkes zur Versteigerung. Ist der jüngste Grünbaum-Beschluss auch dort nicht von Belang? Auf Anfrage trudelte ein allgemeines Statement ein, wonach man den "Dialog involvierter Parteien im Geiste der Washingtoner Principles" fördere. Gemeint sind im Vorfeld von Versteigerungen erzielte Einigungen, die eine Teilung des Erlöses vorsehen.

De facto ignoriert also auch jenes Auktionshaus, das bei der Verwertung restituierter Kunstwerke seit Jahren wie kein anderes von bisherigen Entscheidungen des Beirates profitierte, das aktuelle Urteil. Womöglich weil man sich von einer Kooperation mit den Grünbaum-Erben eine ertragreichere Zukunft verspricht? (Olga Kronsteiner, Album, 27.11.2015)