Es kommt vor allem auf ein Umdenken an, sagt Pavel Kabat.

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STANDARD: Was erwarten Sie von der UN-Klimakonferenz in Paris, die am Montag beginnen und bis 11. Dezember dauern wird?

Kabat: Wenn Sie mich nur nach Paris fragen, bin ich optimistisch. Ich erwarte, dass sich die Delegationen auf ein Abkommen einigen werden. Was mir Sorgen bereitet, ist der Bereich jenseits von Paris. Das politische System hat in Klimafragen bisher nur geringe Fortschritte ermöglicht. Denn schon beim Kioto-Protokoll war die Umsetzung sehr mangelhaft.

STANDARD: Was wäre ein erstrebenswertes Ergebnis des Klimagipfels?

Kabat: Wir benötigen eine konkrete Einigung, die eine substanzielle Minderung der Emissionen bis 2030 oder 2050 vorsieht. Idealerweise eine Minderung, die die globale Erwärmung auf zwei Grad begrenzt. Der Weg dorthin wird nicht einfach. Denn es gibt große Diskussionen darüber, wie der CO2-Ausstoß gemessen wird. Und auch darüber, wie er zwischen den Nationen aufgeteilt werden soll. Noch wichtiger wird allerdings die Frage sein: Wer überwacht die Umsetzung? Und wie verknüpft man das Abkommen mit anderen internationalen Beschlüssen – wie etwa den nachhaltigen Entwicklungszielen der Uno, die im September in New York verabschiedet wurden? Wir wissen, was das kosten würde. Nur wurde darüber noch nicht diskutiert. Meine Empfehlung an die Umweltminister ist: Nützen Sie Ihr Investment doppelt – verlassen Sie Paris nur gemeinsam mit den Energieministern!

STANDARD: Glauben Sie, dass wir für den Klimaschutz einen rechtlich verbindlichen Vertrag benötigen?

Kabat: Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht, dass es einen rechtlich verbindlichen Vertrag geben wird. Und ich glaube auch nicht, dass ein solcher Vertrag funktionieren würde. Was wir brauchen, ist ein grundsätzliches Umdenken: Bisher kamen die Delegationen zu den Klimagipfeln, um den Schaden für ihr eigenes Land möglichst gering zu halten. Sie müssen aber diesen Gipfel als Investment begreifen.

STANDARD: Ein Blick auf die Geschichte zeigt: Die Umsetzung des 1997 unterzeichneten Kioto-Protokolls war mehr oder minder eine Farce. Warum sollte es diesmal anders sein?

Kabat: Da gebe ich Ihnen recht. Mein Punkt ist: Ich wäre sehr glücklich, wenn Paris dazu beitragen würde, das Klima in einer anderen Erzählung zu präsentieren. Wir haben genug gehört von all den Bedrohungen. Das Klima kann auch ein Auslöser für eine globale Veränderung sein, nämlich für eine Transformation unseres gesamten Wirtschafts- und Energiesystems. Wenn sich das in den Köpfen der Teilnehmer festsetzt, könnte das der Anfang einer neuen Zeit sein.

STANDARD: Das Problem als Chance?

Kabat: Es ist noch nicht zu spät. Wir können alles noch zu unserem Vorteil wenden. Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel: In den Jahren 2007 und 2008 war ich an der Planung des sogenannten Delta-Programms beteiligt. In diesem Programm geht es darum, die Niederlande vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen. Ein Ergebnis war, dass niederländische Firmen im Wassersektor dadurch neue und einträgliche Geschäftsfelder entwickelt haben. Umweltschutz kann Innovationen auslösen. Das könnte uns auch auf globaler Ebene gelingen.

STANDARD: Kommen wir zum Zwei-Grad-Ziel: Viele Wissenschafter sagen hinter vorgehaltener Hand, dass der Zug längst abgefahren ist. Was ist Ihre Meinung dazu?

Kabat: Die Zusagen der einzelnen Staaten werden vermutlich nicht ausreichen – so weit stimme ich Ihnen zu. Denn um innerhalb des Zwei-Grad-Limits zu bleiben, müssten wir die globalen Emissionen bis 2030 um circa 80 Prozent reduzieren. Das ist ein plausibles Ziel, wenn auch kein sehr realistisches.

STANDARD: Warum verfolgt man dieses Ziel weiter, wenn es nicht realistisch ist?

Kabat: Weil es die Funktion eines Leitsterns hat. Die ganze Situation ist hochkomplex. Die Klimamodelle haben ihre Unwägbarkeiten, und politisch haben wir es mit einem multinationalen System von 180 Staaten zu tun. Das Zwei-Grad-Ziel ist etwas, das die Gedanken der Teilnehmer eint. Letztlich ist es mir egal, ob die Erwärmung 1,8 oder 2,5 Grad beträgt, sofern sich die Staatengemeinschaft endlich zum Handeln entschließt.

STANDARD: Der globale Süden trägt die geringste Schuld am Klimawandel, ist aber von den Auswirkungen am stärksten betroffen. Was schlagen Sie vor?

Kabat: Um Gerechtigkeit herzustellen, müsste der globale Süden die Chance bekommen, sich wirtschaftlich ebenso zu entwickeln wie die reichen Nationen. Der Westen muss in diesen Ländern in erneuerbare Energien investieren. Momentan tun wir das Gegenteil: Wir exportieren das alte ökonomische Modell.

STANDARD: Was wäre denn die beste Strategie, um den globalen Klimawandel zu stoppen?

Kabat: Der wirksamste Hebel und zugleich die größte Herausforderung ist die Umstellung unseres Energiesystems. Darum geht es. Wir sind noch immer zu sehr von Öl und Kohle abhängig.

STANDARD: Auch manche Alternativen, wie zum Beispiel Biomasse, haben schwerwiegende ökologische Nachteile.

Kabat: Wir brauchen einen klugen Mix, inklusive Sonnenenergie, Windenergie und Geothermie. Unsere Berechnungen zeigen, dass eine solche Umstellung möglich ist. Auch finanziell. (Robert Czepel, 29.11.2015)