Wien – Mit einer Resolution warnen die ORF-Redakteure vor "möglichen Fehlentwicklungen", die dem öffentlich-rechtlichen Sender im Vorfeld der Wahl der ORF-Geschäftsführung am 9. August 2016 drohen könnten. Befürchtet werden etwa "politische Tauschgeschäfte und Absprachen bei der Bestellung von zukünftigen Führungskräften". Die Redakteursvertreter fordern Transparenz und Mitsprache bei Besetzungsprozessen.

In der Kritik steht auch das "anachronistisches Anhörungsrecht" der Landeshauptleute bei der Bestellung der Landesdirektoren. Das führe dazu, dass sich die Landeshauptleute "ihre" Direktoren aussuchen könnten. Weiter warnen die Redakteure vor einem zentralen Infochef nach der neuen ORF-Struktur.

Die Resolution im Wortlaut:

Die bevorstehende Bestellung der ORF-Führung im August des nächsten Jahres schlägt bereits erste Wellen und gibt uns Anlass zur Sorge. Wir befürchten politische Tauschgeschäfte und Absprachen bei der Bestellung von zukünftigen Führungskräften. Deshalb fordern wir die Geschäftsführung auf, die Besetzungsprozesse im Haus endlich transparent zu machen. Das ursprünglich zur Chancenwahrung von Frauen geschaffene "Hearing" hat innerhalb der Belegschaft die Glaubwürdigkeit verloren. Im Redakteursstatut sind Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte bei Führungspositionen vorgesehen, in der Praxis werden sie aber von der Geschäftsführung ignoriert. Deswegen wurde erstmals in der Geschichte des ORF ein Schiedsgericht einberufen, dass darüber zu entscheiden hat, ob der Generaldirektor das Redakteursstatut gebrochen hat.

Das anachronistisches "Anhörungsrecht" der Landeshauptleute führt in der Praxis nach wie vor dazu, dass sich die Landeshauptleute die Direktorinnen und Direktoren "ihrer" Landesstudios aussuchen können. Das im ORF-Gesetz und Redakteurstatut garantierte Mitsprache- und Mitwirkungsrecht der Redaktionen wird hingegen immer weiter ausgehöhlt. Gerade wenn zentrale journalistische Positionen neu besetzt werden, ist es wichtig, dass die Führungskräfte ausschließlich nach fachlichen und nachvollziehbaren Kriterien besetzt werden.

Aber die geplante neue Führungs-Struktur im ORF ist nach wie vor völlig unklar: Zwischen einem zentralen Chef ("Head of Information") bis hin zur jüngsten Ankündigung, mit dem selben Team antreten zu wollen, hat Generaldirektor Wrabetz bisher die gesamte Bandbreite an möglichen Strukturen in den Raum gestellt.

Ein zentraler Info-Chef wäre für die Nachrichten in allen ORF-Medien verantwortlich: Radio, TV, Online und Teletext. Das wäre eine außergewöhnliche Machtposition, sind doch sämtliche ORF-Medien Marktführer in ihren jeweiligen Bereichen. Derzeit sorgen unterschiedliche Verantwortlichkeiten und unterschiedliche Standorte automatisch für vielfältige Informationsprogramme, die unterschiedliche Standpunkte und Herangehensweisen abbilden. Diese Binnenpluralität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss gewahrt bleiben, eine Person darf nicht über alle wesentlichen Inhalte der ORF-Berichterstattung bestimmen. Zu groß ist die Gefahr, wenn zu viel redaktionelle Macht in nur einer Hand vereinigt ist, dass der Binnenpluralismus verloren geht.

Ein Abschaffen des Radio-Direktors in der nächsten Geschäftsführung – auch das ist durchaus wahrscheinlich – birgt die Gefahr, dass den Erfordernissen qualitätsvoller Radioprogramme nicht mehr Rechnung getragen wird. Selbst wenn das Funkhaus tatsächlich verkauft werden sollte, werden noch jahrelang die Programme und der Betrieb von Ö1, von FM4 und der Radio-Information aus dem Funkhaus, sowie Ö3 aus Heiligenstadt, zu gewährleisten sein. Die Bereichs-Direktoren sind auch für ihr jeweiliges Budget verantwortlich. Wer soll diese Rolle für die ORF-Radios übernehmen? Das Radio darf nicht zum nebenbei betriebenen, ungeliebten Kind der Geschäftsführung werden. Mit der Gefahr, dass einzelne Sendungen und Sender personell oder finanziell ausgehungert werden. Wichtige Funktionen in der aktuellen Struktur – wie die des Ö1-Senderchefs – sind immer noch nicht regulär besetzt. Obwohl dies bereits vor zwei Jahren zugesagt wurde.

Früh-TV darf Landesstudios nicht beschädigen Die Redakteurinnen und Redakteure der neun Landesstudios sind selbstverständlich für eine Aufwertung der Bundesländer-Berichterstattung. Allerdings braucht es dafür vernünftige Bedingungen und es darf die bereits jetzt in vielen Bereichen prekäre Situation nicht weiter verschärft werden. Wenn die Geschäftsführung Früh-TV will, dann muss sie auch die entsprechenden personellen und technischen Ressourcen zur Verfügung stellen. Die pro Landesstudio zugesagten zwei zusätzlichen Arbeitsplätze in der Redaktion müssen auf jeden Fall neue Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter sein und nicht nur die vertragliche Sanierung bestehender Arbeitsverhältnisse. Doch die Sparvorgaben für das nächste Jahr machen uns hier wenig optimistisch: Demnach soll jedes Landesstudio im nächsten Jahr weitere 200.000 Euro einsparen." (red, 27.11.2015)