Der Bauer in der großen Stadt: Andreas Gabalier lud am Samstag zum Almauftrieb in die Wiener Stadthalle.

Foto: Newald

Wien – Im Foyer der Wiener Stadthalle dominiert das Kleinkarierte. Vornehmlich in den Farben Rot und Weiß. Was anderswo unter Plastik über den Tisch gespannt ist, trägt man hier als Hemd oder Bluse. Die Dirndldichte erreicht Wiesenniveau, stattliche und weniger stattliche Mannsbilder haben sich in krachlederne Gala geschmissen. Bleiche Waden in Bodenähe, rote Köpfe in den höheren Lagen. Es herrschen Durst und eine gewisse Aufregung. Stellenweise entlädt sie sich in kurzen Sprechchören: "Andee! Andee!"

Die Stimmung ist eins A. Bier, Brezen, klass, schnell zum Verkaufstand, wo es noch mehr Kleinkariertes zu erwerben gibt. Sonnenbrillen, Zuckerldosen, Halstücher, Kühe und Rehe im Kuscheltierformat, und, und, und.

Weltliche Zerstreuung

Verantwortlich für diesen Almauftrieb inmitten der Stadt ist Andreas Gabalier. Der Mountain Man aus dem bergfernen Grazer Becken beendete am Samstag seine Mountain-Man-Tournee in der ausverkauften Stadthalle. Das Publikum des selbsternannten Volksrock’n’Rollers reicht dabei von Volksschülern bis zu Omas und Opas mit Opernglas. Sogar eine Nonne gab sich samt Gabalier-Sonnenbrille der weltlichen Zerstreuung hin. Immerhin wird ja in einem Lied sogar gebeichtet, vergelt‘s Gott.

Dann kommt Gabalier, der Andee. Mit dem übersteuerten Willkommensrocker We Salute You eröffnet der 31-Jährige die Show. Er grinst, sein Blick durchmisst die Weiten der Halle, alles voll, er nickt zufrieden, super. Das Grinsen wird breiter, sein Gesicht bietet diesbezüglich viel Raum. Rund und xund und leiwand drauf, wie Steffi Werger sagt. Die Haare sind seitlich kurz geschnitten, oben trägt er etwas wie eine Tolle. So könnte Dave Gahan von Depeche Mode heute aussehen, wenn ihm das Heroin nicht so gut geschmeckt hätte.

Gerechter Schweiß

Auf dem Steg ins Publikum beginnt er bald zu schwitzen. Die Nahaufnahmen, die per Videowall in den Saal übertragen werden, schmeicheln ihm nicht wirklich. Für die Fans ist es ehrliche Arbeit, gerechter Schweiß. Sein Gang ist so breit, als wäre er von Graz mit dem Fahrrad angereist. Seine Muskeln aufgepumpt, die Achseln ein bisserl verweichlicht ausrasiert, ansonsten steht er mit seiner kurzen Lederhose da wie ein Bauer im Fitnessstudio.

Statt Gewichten stemmt er heute eine Zweieinhalbstundenshow. Die Herzen fliegen ihm zu wie später die Busenhalter. Er wirkt professionell gerührt, freut sich, dass er ihn Wien die größte Hütte füllt, obwohl ihm das niemand zugetraut hat. Für die Städter, habe man ihm gesagt, sei seine Musik nix, aber er, der kleine Steirabua, wie er sich selbst nennt, hat es allen gezeigt. Glaube kann Mountains versetzen, heißt es. Am leichtesten dort, wo es keine gibt.

Heiliger Boden

Gabalier kniet nieder, nennt den Boden heilig und küsst ihn. Der Saal tobt. Der Andee is a Bursch. Er schwitzt und rennt durch Lieder wie Sweet Little Rehlein, Verliebt, verliebt oder Bergbauernbuam. Übertriebene Eleganz kann man ihm nicht nachsagen. Wenn er mitten am Laufsteg in die Hocke geht, weiß man nicht, ob harter Stuhl oder Atemnot ihn plagen. Kredenzt wird das Programm mit der Dynamik eines Zeltfests. Das suggeriert eine Begegnung auf Augenhöhe, ist eine Mischung aus Durchhalteparolen und Animation: Hoch den Popo, die Arme sowieso.

Andreas Gabalier ist der zurzeit wohl erfolgreichste heimische Musiker. 2009 erschien sein Debütalbum Da komm‘ ich her. Dem folgten Herzwerk, Volks-Rock’n’Roller, Home Sweet Home und heuer Mountain Man. Sie machten ihn zu einem neuen Star im Universum des Musikantenstadls und dem sich nie lichtenden Carmen Nebel. Gerade war er zu Gast bei Helene Fischers Weihnachtsshow in Berlin. Wo er ist, ist oben, egal, wie tief es gerade ist.

Streitbare Figur

Denn Gabalier gilt als streitbare Figur. Kontroversen um manche seiner Aussagen scheint er zu genießen, selbst wenn die Umstände peinlich sind. Zuletzt erregte er sich über eine Wahlkampfdiskussion und warf dem ORF via Facebook-Eintrag fehlende Objektivität vor. Als der Kommentar gelöscht wurde, sah er sich als Opfer der Facebook-Zensur. Tatsächlich hatte ihn lediglich seine Plattenfirma vor sich selbst geschützt.

Eine andere mediale Reizung provozierte er durch eine Aussage bezüglich seiner Ängste, Heterosexuelle könnten hierzulande ins gesellschaftliche Hintertreffen geraten. Das war bei der Amadeus-Verleihung. Ein noch größeres Bäuerchen entfuhr ihm mit seinem Insistieren auf Beibehaltung des alten Textes der Bundeshymne, die zwar den großen Söhnen huldigt, nicht aber den Töchtern des Landes.

Die Hymne thematisiert er auch in der Wiener Stadthalle. Er untermauert seine Haltung und erntet dafür den stärksten Applaus des ganzen Abends. Lieber ein Steirabua mit Ecken und Kanten als einer ohne eigene Meinung, wie er es sich selbstsicher diagnostiziert. Diese trotzige Schlichtheit gebiert einen ranzigen Stolz. Man kennt das vom Patriotismus. Auch den hat Andreas Gabalier brav verinnerlicht, wie längliche Zwischenansagen verdeutlichen.

Die volle Härte

Musikalisch fährt er mehrgleisig. Da gibt es die forschen Landler, deren Anlassigkeit mit dem Frontalcharme des Sängers konvenieren. Dann gibt es progressiv-rustikale Rock’n’Roll-Kopien und schließlich den Dialektschlager, die volle Härte. Dort menschelt es, da zieht er die Augenbrauen zusammen, da wird der Oma gedacht und eine heile Welt beschworen, die es nicht gibt. Diese Lieder sind mit dicken Fingern ins Grammelschmalz geschrieben, dargeboten mit dem Dackelblick eines Erbschleichers.

Genötigter Rock'n'Roll

Die Nötigung des Rock’n’Roll ist der perfideste Kunstgriff Gabaliers. Gilt dieser doch bis heute als Werkzeug zur Überwindung provinzieller Enge, lässt er diese mittels Rock’n’Roll nun hochleben. Siehe auch Helene Fischers Einverleibung von HipHop-Charakteristika ins Schlagerfach. Ob Gabalier sich dessen bewusst ist, weiß man nicht. Es ist also im besten Falle Nichtwissen, im schlimmsten Heuchelei. Aber damit belastet sich sein Publikum nicht.

Am Ende des Abends empfängt er mit der erlösenden Erschöpfung des Eroberers den Zuspruch seiner Fans. Minutenlang. Kleinkariert in voller Größe. (Karl Fluch, 29.11.2015)