Als im Vorjahr die neuen EU-Förderrichtlinien herausgekommen sind, die israelische Siedlungen im Westjordanland beziehungsweise dort ansässige Unternehmen und Institutionen von der Zusammenarbeit ausschlossen, schien die israelische Regierung überrascht. Das war sie diesmal mit Gewissheit nicht, als Brüssel die Kennzeichnung für in den Siedlungen produzierte Waren verordnete. Die EU setzt in Gesetzeswerk um, was ihre seit Jahren deklarierte Politik und Rechtsauffassung ist: Das Westjordanland inklusive Ostjerusalem ist nicht, wie es die israelische Regierung will, umstritten; laut EU ist es besetzt.

Dass die Realisierung dieser Politik in eine Zeit fällt, in der sich palästinensische Gewalttaten gegen Israelis mehren, ist unglücklich, aber ein Zufall. Die Interpretation, dass es sich um einen "Boykott israelischer Produkte" handle, trägt jedoch auch Israels Regierung nicht mit. Sonst wäre ihre Reaktion nicht wenig mehr als symbolisch ausgefallen. "Die EU" wird durch die vorläufige Absage von Treffen bestraft; die EU-Mitgliedsstaaten, deren Entscheidungen Grundlage der EU-Kommissionspolitik sind, nicht.

Betroffen ist auch eine Konsultationsrunde über Projekte in der von Israel voll kontrollierten Zone C im Westjordanland: ein Versuch, das Palästinensergebiet auch ohne Staat weiterzuentwickeln. Zu viel Strafe hat die EU aber wohl nicht zu erwarten: Als Zahlmeister, der Israel einen Teil der Besatzungskosten abnimmt, ist sie wohlgelitten.(Gudrun Harrer, 30.11.2015)