Joseph Stiglitz plädierte in Wien für höhere Vermögenssteuern.

Wien – Um zu erkennen, weshalb ein 72-jähriger Ökonom wie Joseph Stiglitz nach wie vor auf seinen Vortragsreisen ganze Hörsäle füllen kann, einen Bestseller nach dem anderen schreibt und junge Leute bei ihm Schlange stehen für ein Autogramm, waren am Montag in der Wiener Uno-City nur ein paar Minuten notwendig.

Stiglitz war zu Wochenbeginn Gastredner bei einer Konferenz der UN-Organisation für industrielle Entwicklung, der Unido. Der US-Amerikaner absolvierte davor einen Presseauftritt – und glänzte mit einer Mischung aus Charme und provokantem Humor.

Gleich zu Beginn seines Statements übte Stiglitz Kritik an der Sparpolitik in der Eurozone. Doch inzwischen gibt es auch Stimmen, die von ersten Erfolgen sprechen. Die deutsche Regierung etwa lobt Spanien häufig und gern, weil dort die Wirtschaft wieder wächst. Darauf angesprochen, konterte Stiglitz: Dieses Gerede erinnere ihn an jemanden, der einen Menschen bei einem tödlichen Sturz aus einem Hochhaus beobachtet und, als alles vorbei ist, freudig ausruft: "Hey, wenigstens ist er jetzt unten angekommen."

Unten angekommen

Rund 50 Prozent der unter 25-Jährigen haben in Spanien keinen Job, etwa 23 Prozent der Erwachsenen sind arbeitslos gemeldet. Zehntausende Menschen haben das Land aus Mangel an Perspektiven verlassen. "Ja, es geht nicht mehr abwärts. Aber von Verbesserungen zu sprechen ist viel zu früh", so Stiglitz. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank hatte 2001 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Forschung hinsichtlich der Informationsnutzung an Märkten erhalten. Seither beschäftigt er sich in zahllosen Bestsellern mit Globalisierungsfragen und Ungleichheit. Auch in Wien stellte er am Sonntag sein jüngstes Buch zu dem Thema ("The Great Divide") an der WU vor. Was Stiglitz interessant macht ist, dass er es versteht, aktuelle Themen mit seinen Ansichten und Positionen zu verknüpfen. So hängen für den Wissenschafter Sparpolitik, Ungleichheit und Flüchtlingskrise eng zusammen.

Erst vor wenigen Tagen einigte sich die griechische Regierung auf Drängen seiner Gläubiger auf eine neue Vorgehensweise bei Zwangsräumungen. Bisher waren so gut wie alle Griechen davor geschützt, ihr Heim zu verlieren, selbst wenn sie ihre Bankschulden nicht mehr zahlen konnten. Nun sollen nur noch Immobilien bis zu einem Wert von 230.000 Euro geschützt werden, wenn die darin wohnenden Familien – abhängig von der Zahl der Kinder – nicht mehr als 35.000 Euro im Jahr verdienen. Tausende Menschen könnten ihr Zuhause verlieren, warnte Stiglitz. Diese Maßnahme ausgerechnet jetzt umsetzen zu wollen, wenn jeden Monat zehntausende Flüchtlinge im Mittelmeerland ankommen, sei ein "Rezept", um politische Radikalisierung in Griechenland zu schaffen.

Solidarität ist nicht einfach

"Solidarität zu verlangen ist schon dann nicht einfach, wenn es den Menschen gutgeht", sagte Stiglitz. Doch politisch gefährlich wird die Sache, wenn sich Armut und Arbeitslosigkeit ausbreiten, weil dann der Nährboden für rechtsextreme Parteien geschaffen sei. Das gelte auch für Länder wie Deutschland und Österreich: Auch hier sei nicht nur Solidarität mit Flüchtlingen gefragt. Menschen, die wenig verdienen oder schlechte Karten am Arbeitsmarkt haben, brauchen ebenfalls vermehrt Unterstützung von den Wohlhabenden und den Eliten. Transferzahlungen an sozial Schwache sollten erhöht werden, um soziale Spannungen gleich im Keim zu ersticken. Eine Möglichkeit dafür, um Geld für solche Programme aufzutreiben, wäre die Anhebung der Vermögenssteuern. (András Szigetvari, 1.12.2015)