Innsbruck – Das seit Anfang des Jahres geltende Ärztearbeitszeitgesetz fordert an der Innsbrucker Klinik Tribut: Bis Jahresende könnten zahlreiche Operationen nicht mehr durchgeführt werden, weil es an der Anästhesie einen Personalmangel gebe, berichtete der ORF Tirol am Dienstag. In einzelnen Abteilungen könnten bis zu zehn Prozent der Eingriffe entfallen.

"Wir haben im Durchrechnungszeitraum gesehen, dass die Anästhesie bis Jahresende keine gesetzeskonformen Dienstpläne mehr zusammenbringt. Jetzt müssen sich alle sehr kurzfristig umstellen. Das bringt natürlich große Unruhe", sagte die Ärztliche Leiterin Alexandra Kofler zum ORF. Zwei Operationssäle seien derzeit geschlossen, in zwei weiteren könnten keine Vollnarkosen durchgeführt werden. Betroffen seien länger planbare Operationen, Notfälle und Akutpatienten würden weiterhin so rasch wie möglich operiert.

Kaum Bewerbungen

Neben den Auswirkungen des Ärztearbeitszeitgesetzes habe sich die Situation dadurch verschärft, dass zahlreiche Anästhesisten die Klinik verlassen hätten und sich kaum Mediziner für die offenen Stellen bewerben würden. Laut Kofler ist der Andrang bei ausgeschriebenen Stellen "nicht sehr groß". Zwar schreibe man diese auch in Deutschland aus, aber Fachärzte bekomme man kaum. Dafür macht sie unter anderem die neue Ärzteausbildungsordnung verantwortlich: "Das macht natürlich auch Unsicherheit bei Jungärzten, die schauen, wo sie eine Stelle kriegen und wie es dort läuft."

Eine andere Art der Operationsplanung soll bereits im kommenden Jahr Abhilfe schaffen. Weil die "Ressource Anästhesie" eine reduzierte sei, sollen chirurgische Fächer zusammen mit der Anästhesie OP-Pläne machen und nicht mehr isoliert voneinander.

OP-Manager: "Situation nicht so dramatisch"

Laut OP-Manager Thomas Werner-Mathienz sind die Einschränkungen überschaubar. Natürlich gebe es Abstriche, diese seien aber "nicht so dramatisch". Beispielsweise seien von den 45 OPs in der vergangenen Woche sechs auf Lokalanästhesie reduziert worden. "In allen anderen lief Vollbetrieb", so Werner-Mathienz.

Zudem seien Anästhesieplätze in der Peripherie, also etwa in der Zahnklinik oder für die Magnetresonanztomografien, versorgt worden. Insgesamt gebe es an der Anästhesie in Innsbruck 140 Vollzeitäquivalente, aufgeteilt auf rund 160 Köpfe. Täglich müssten damit etwa 75 Arbeitsplätze in den Operationssälen und den peripheren Bereichen besetzt werden. Alle zentralen Operationsbereiche seien versorgt, lediglich an den "Nebenschauplätzen" gebe es Einschränkungen: "Die Notfallversorgung ist niemals gefährdet. Es musste keine dringende OP verschoben werden."

Platter erwartet bessere Planung

Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) nahm die Führung der Klinik in die Pflicht. "Ich erwarte mir von der Klinikführung, die Dienstpläne so zu gestalten, dass es in der Gesundheitsversorgung zu keinem Defizit kommt", sagte er am Dienstag. Er erwarte sich von den Verantwortlichen, dass alle Maßnahmen unternommen werden. Es dürfe nicht sein, dass Operationen verschoben oder gar Notoperationen nicht durchgeführt werden. "Es wird viel Geld zu Verfügung gestellt", sagte Platter.

SPÖ verärgert über Platter

Die Tiroler SPÖ zeigte sich über die Aussage von Platter verärgert, wonach die Klinik die Dienstpläne besser zu gestalten habe. Die andere Gestaltung von Dienstplänen werde "nichts helfen, wenn das entsprechende Personal fehlt", erklärte Landesabgeordnete Gabi Schiessling. "Platters Anregungen dazu sind entbehrlich", kritisierte die Gesundheitssprecherin der Tiroler Sozialdemokraten.

Für Schiessling handelt es sich um ein über Jahre hausgemachtes Problem. "Seit 1994 liegen die Gesundheitsagenden bei der ÖVP. Sie hat 20 Jahre lang weggeschaut und die Ärzte haben sich nicht gewehrt", sagte sie. Das neue Arbeitszeitgesetz verschärfe die Situation.

Grüne: Unverantwortlich

Für die Gesundheitssprecherin der Bundes-Grünen, Nationalratsabgeordnete Eva Mückstein, ist es unverantwortlich, dass bis Jahresende aufgrund von Personalmangel in der Anästhesie "zahlreiche Operationen" nicht mehr durchgeführt werden könnten. Vor allem sozial Schwächere wären betroffen. "Das im Vorjahr beschlossene Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz hatte eine Vorlaufzeit von elf Jahren, da die EU-Arbeitszeitrichtlinie bereits seit 2003 in Kraft ist, trotzdem steht man planlos da", sagte Mückstein, deren Parteifreunde in der Tiroler Landesregierung sitzen.

FPÖ: "Bankrotterklärung"

Scharfe Kritik kam von der Opposition. FPÖ-Chef Markus Abwerzger ortete, sollten die Angaben über ausfallende Operationen stimmen, eine "Bankrotterklärung" des zuständigen Gesundheitslandesrats Bernhard Tilg (ÖVP).

Die Liste Fritz sprach von einem "dramatischen Befund der Verantwortlichen", der nicht zu überraschen brauche. Er zeige nur deren Hilflosigkeit auf. "Die Patientenversorgung in Tirol steht auf dem Spiel. Der zuständige ÖVP-Gesundheitslandesrat Tilg und das Management der Tirol-Kliniken haben bis dato keine langfristige Lösung ausverhandelt, sondern geglaubt, mit einem finanziellen Lockangebot die Ärzte halten und die Misere aussitzen zu können", sagte Klubobfrau Andrea Haselwanter-Schneider. (APA, 1.12.2015)