Lücken im Lebenslauf werden bestmöglich kaschiert, Sprachkenntnisse auf Niveau C2 aufgebessert und Kündigungen als "neue Herausforderungen" tituliert. Das Credo lautet: Stärken bestmöglich hervorzuheben und Schwächen am besten zu verschweigen.

Aber was, wenn ein Bewerber ehrlich angibt, was er nicht kann? Wie reagieren Personaler, wenn er sagt, dass er unpünktlich ist, ungeduldig und ungenau?

Mit Ehrlichkeit auffallen

Die deutsche Karriereberaterin Svenja Hofert wollte es wissen – und startete mit einem Klienten ein Experiment. Der kaufmännische Leiter, Mitte 40, sollte Lebensläufe verschicken, in denen er nicht nur auflistete, was er bereits kann – sondern auch, was er bis dato nicht kann. "Präsentieren", stand dort beispielsweise und "programmieren" oder "verhandlungssicher Französisch sprechen".

Wie viel Ehrlichkeit ist bei der Bewerbung erlaubt?
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"Klar war das für ihn ein Risiko", sagte Hofert zum "Spiegel" über den Versuch. "Aber dass man etwas nicht kann, heißt ja nicht, dass man es nicht lernt." Derart formulierte es auch der gelernte Kaufmann in seinem Anschreiben, das er, gemeinsam mit dem ehrlichen Lebenslauf, an rund 50 Unternehmen schickte. Ein Viertel davon lud ihn zum Vorstellungsgespräch ein. Karriereberaterin Hofert befindet das als "gutes Ergebnis". Bei klassischen Ich-kann-alles-Bewerbungen liege die Einladungsquote nur bei 15 bis 20 Prozent.

In den Vorstellungsgesprächen wurde der Kaufmann direkt auf seine Schwächen angesprochen. Hofert: "Die Personaler waren über so viel Ehrlichkeit überrascht" – angeblich durchaus positiv.

Unpünktlich und erfolglos

Das Experiment war inspiriert vom Selbstversuch des jungen New Yorkers Jeff Scardino. Der 29-Jährige versendete im Sommer ungewöhnliche Bewerbungen an zehn Firmen. Jede erhielt von ihm eine klassische Bewerbung und – unter anderem Namen und ein wenig zeitversetzt – eine, in der er Fehlleistungen, Mankos und Karriereumwege anführte.

Jeff Scardino versuchte es mit ungeschöntem Lebenslauf.
Jeff Scardino

Das überraschende Ergebnis: Nur ein Unternehmen reagierte auf den klassischen Lebenslauf. Auf die ehrliche Bewerbung hingegen reagierten acht – von fünf wurde Scardino sogar zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Einige der Personaler lobten seine Ehrlichkeit. Es sei sehr erfrischend gewesen, "einen anderen Ansatz zu sehen, wenn man hunderte Bewerbungen im Jahr erhalte", sagte einer.

Selbst zwei Unternehmen, die seine Bewerbung für einen Scherz hielten, meldeten sich bei Scardino zurück. "Für mich war das ein Beweis, dass es funktioniert", sagte Scardino zum Business Insider. "Ich konnte ihnen erklären, was ich mir bei der Aktion gedachte habe – und sie haben es verstanden."

Ehrlich, aber nicht zu ehrlich

Dass es durchaus zum Erfolg führen kann, "fehlende Skills aktiv und ehrlich anzuführen", bestätigt Anna Riessland, Recruiting-Leiterin bei Accenture Österreich. "Erklären Sie, warum Sie für die offene Stelle geeignet sind. Aber: Führen sie auch an, welche Fähigkeiten noch optimiert werden müssen. Das zeigt Bereitschaft, sich weiterentwickeln zu wollen".

So originell und vielversprechend Ehrlichkeit sein mag, darf jedoch auch kein Leichtsinn walten. Karriereberaterin Hofert: "Wenn ein SAP-Spezialist schreibt, er könne nicht mit Computern umgehen, ist das schlecht".

Der gute Rat: Anführen – aber erklären.
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Worauf ein Bewerber oder eine Bewerberin jedenfalls setzen sollte, sind nach wie vor die klassischen Tugenden: "Mich überzeugen gut strukturierte, übersichtliche Bewerbungen", sagt Riessland. "Angaben wie Hobbys oder außerordentliches Engagement runden das Bild ab. Bewerbungen sollten auch immer auf das Unternehmen abgestimmt sein." (lib, 3.12.2015)