An diesem Tag spielt der Nebel mit der Sonne Armdrücken. Gewinnt die Sonne die Oberhand, brennt sie große Gucklöcher in den Dunst und gibt den Blick zum Bucegi-Gebirge frei. Dabei flirren Eiskristalle wie Glitter durch die bitterkalte Luft, und bei jedem Schritt knistert es unter den Füßen. In den rumänischen Südkarpaten in Transsilvanien gibt es noch richtige Winter mit deftigen Minusgraden und ordentlichen Mengen Pulverschnee. Winter, in denen die Kinder auf Schlitten in die Schule rodeln und die Bauern sonntags die Kirche ausfallen lassen, weil der Weg durch den Tiefschnee zu lange dauern würde. Dann sind Schneeschuhe das ideale Fortbewegungsmittel.

"Hier kann man stundenlang durch den Wald wandern, ohne einem Menschen zu begegnen", schwärmt der gebürtige Rumäne Udo Kraus. Als Guide führt er Schneeschuhwanderer durch die Region rund um Brașov, in das Bucegi- und in das Făgăraș-Gebirge. Stützpunkt ist dabei das Bauerndorf Fundata, das im südwestlichen Zipfel von Siebenbürgen in den Karpaten liegt. Vor den Häusern türmen sich Heuhaufen, die weiße Hauben tragen, und auf den Feldern werfen Holzzäune ihre Silhouetten in den Schnee. Die Kommunikation der weit auseinander liegenden Höfe läuft offenbar über bellende Hunde.

Das Făgăraș-Gebirge in den rumänischen Südkarpaten gilt unter Schneeschuhwanderern als einsames, lohnendes Ziel.
Foto: Monika Hippe

Ganz anders als in den Alpen sind Wintersportler hier selten, der Fremde ist im Winter oft sogar ein Unikum, und viele Bauern freuen sich über eine Begegnung. Hier ist praktisch jeder Selbstversorger und kümmert sich 365 Tage im Jahr um sein Vieh. So auch die 82-jährige Maria, die in Hausschlapfen aus dem Haus kommt und die Hunde beruhigt. Herzlich begrüßt sie die Gruppe, die mit den Schneeschuhen bis in ihren Vorgarten gestapft ist und nun vor ihrer Wäscheleine steht, auf der eingeschneite, hartgefrorene Pullover baumeln.

"Habt ihr denn kein Auto?", fragt sie verwundert. Einfach aus Spaß durch den Schnee stapfen – das kennt sie nicht, das versteht sie nicht. Trotzdem winkt sie und lacht, ruft zum Abschied: "La revedere". Es klingt ein bisschen wie "Arrivederci". Logisch, denn Rumänisch ist die östlichste romanische Sprache, und die meisten Einwohner verstehen sogar Italienisch.

Freibrief für die Sachsen

"Viele Rumänen wissen gar nicht, dass man in Siebenbürgen früher Deutsch gesprochen hat", sagt Udo Kraus. Die Sachsen im Burzenland, einem historischen Gebiet im Südosten Siebenbürgens, gehörten zur ersten deutschen Volksgruppe, die im 12. Jahrhundert vom ungarischen König angeworben wurde, um Tataren- und Mongolenangriffe abzuwehren. Dafür erhielten sie einen Freibrief und durften sich selbst verwalten. Heute leben nur noch wenige tausend Deutschrumänen als eine von 18 Minderheiten in Rumänien.

Foto: Monika Hippe

Kraus stapft weiter am Waldrand entlang, wo ein Hirte seine Schafherde samt Muli geparkt hat. "Im Winter trägt das Maultier mein gesamtes Hab und Gut, im Sommer den Käse", sagt der Schäfer. Auf seinem Kopf thront die typische schwarz gefärbte Schaffellmütze, die an Turmfrisuren von Frauen aus den 1960er-Jahren erinnert. Während er der Runde stolz ein neugeborenes Lamm zeigt, erzählt er: "Früher haben wir jeden Winter 2.000 Schafe bis ins Donaudelta getrieben. Das war eine gefährliche Zeit, wir wurden oft überfallen."

Am nächsten Tag hat die Sonne den Nebel endgültig niedergezwungen. Es herrschen perfekte Bedingungen für eine Wanderung ins Piatra-Craiului alias Königstein-Gebirge. Diese Gebirgskette bildet einen von insgesamt 13 Nationalparks in Rumänien, Höhlen und Schluchten durchziehen das 148 Quadratkilometer große Waldgebiet. Hier leben Wildkatzen, Edelmarder und Karpatenhirsche.

Foto: Monika Hippe

In der Zărnești-Schlucht ragen beeindruckende Felswände empor, aufgefächert wie Blätterteig erzählt der Kalkstein Geschichten über die Erdentstehung. Filmemacher nutzten die Schlucht bereits als Kulisse für Gladiatorenkämpfe und romantische Szenen. So wurden auf einer alten Steinbank am Eingang zur Schlucht Szenen aus dem Spielfilm Cold Mountain mit Nicole Kidman gedreht. Doch Udo Kraus zeigt auf den Boden davor: Hier die Spur eines Hirschen, dort lief ein Bär. Durch feinen Pulverschnee, in dem sich die Tierspuren schnell verlieren, geht es zurück nach Fundata.

Keine Spur von Dracula

Angetrieben vom Wind hat sich der Schnee über Nacht ein Stück der Zufahrtstraße zur Unterkunft in Fundata einverleibt. Der Bus bleibt in einer Schneewechte stecken, doch schnell ist die halbe Dorfjugend zur Stelle, um beim Anschieben zu helfen. An diesem Tag steht eine Wanderung zum "Dracula-Schloss" in Bran auf dem Programm.

Dort angekommen, steht die Sonne schon tief. Im müden Nachmittagslicht wirkt die Törzburg mit ihren Rundtürmen und Spitzgiebeln besonders mystisch. Gerade sieht man Filmszenen aus Vlad der Pfähler in der schneebedeckten Walachei lebendig werden, schon hat Kraus die Illusion zerstört: "Fürst Vlad III. Draculea, der als Vorlage für Bram Stokers Romanfigur Dracula diente, hat das Schloss wahrscheinlich nie betreten. Aber Touristen fragten an diesem Ort immer wieder nach ihm, bis man die Törzburg einfach irgendwann zum Dracula-Schloss erklärte." Schließlich führt er die Schneeschuhwanderer hinein in die Gemäuer aus dem 14. Jahrhundert. Drinnen: holzgeschnitzte Türrahmen und kunstvolle Kachelöfen, aber keine Spur von Dracula.

Nicht einmal in den verschneiten Gassen von Bran finden sich viele Draculamasken oder -schlüsselanhänger. Für wen auch – für die paar Winterwanderer? Man sieht den Verkäufern in den Souvenirständen an, dass sie sehnsüchtig auf den Frühling warten, darauf, dass die Sonne den Nebel endgültig besiegt hat und die Touristenströme wieder das Geschäft ankurbeln. (Monika Hippe, Rondo, 4.1.2016)