Emotionale Intelligenz sei wesentlich für das berufliche Fortkommen, schrieb der Psychologe Daniel Coleman 1995 in seinem Buch "Emotional Intelligence" (Emotionale Intelligenz). Untertitel: "Warum sie wichtiger sein könnte als IQ".

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Heute sagen Forscher: Emotionale Intelligenz alleine bringt nicht weiter. Auch auf den IQ kommt es an.

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Man stelle ihn sich vor, den Einserstudenten: intellektuell brillant, fachlich kundig – aber menschlich ein Versager und daher im späteren Berufsleben gescheitert. Denn der wahre Erfolgsfaktor sei ein völlig anderer, heißt es seit geraumer Zeit in Karriereratgebern, Psychologiemagazinen, in Führungskräfte-Coachings: emotionale Intelligenz.

Ein emotional intelligenter Mensch ist in der Lage, eigene Gefühle wie beispielsweise Wut, Angst oder Eifersucht einschätzen und managen zu können, sich selbst motivieren zu können, sagt Christian Korunka, Psychotherapeut und Professor am Institut für Angewandte Psychologie an der Uni Wien. "Aber auch, Emotionen von anderen erkennen und adäquat mit ihnen umgehen zu können."

Daniel Golemans Thesen

So richtig salonfähig geworden, so Korunka, sei der Begriff durch den amerikanischen Psychologen Daniel Goleman. Nicht der Verstand, sondern eben die Fähigkeit, mit Emotionen umzugehen, sei wesentlich für das persönliche und berufliche Fortkommen, so die These Golemans 1995 veröffentlichten Buches über Emotionale Intelligenz. Im Untertitel heißt es sogar: "Warum sie wichtiger sein könnte als IQ".

Aber was bringt die vielbeschworene Kompetenz in der Arbeitswelt tatsächlich?

Studien bescheinigen ihr eine Reihe positiver Auswirkungen: Ein gewisser Emotionaler Intelligenzquotient (EQ) scheint den Arbeitsalltag zu erleichtern – und offenbar sogar als Karrierekatalysator zu wirken.

So testete der deutsche Arbeitspsychologe Gerhard Blickle Berufstätige darauf, ob sie aus Stimmproben und Gesichtern Emotionen korrekt erfassen können. Dann sollten Kollegen die soziale Kompetenz der Testperson einschätzen. Das Ergebnis: Je mehr die Testperson in der Lage war, Gefühle zu erkennen, desto eher wird sie von Kollegen und Vorgesetzten auch als sozial kompetent eingeschätzt.

Auch auf den beruflichen Erfolg – emotional intelligente Personen nutzen ihre Fähigkeiten für den Aufstieg – und das Jahreseinkommen wirkt sich ein hoher EQ offenbar positiv aus.

Emotionale Intelligenz lernen

Um emotionale Intelligenz zu trainieren, offerieren Weiterbildungsinstitute den Arbeitnehmern und Führungskräften heute diverse Kurse. Das Angebot umfasst etwa "Selbstverträgliche Ich-Kommunikation" oder die Fähigkeiten, "Mikroexpressionen zu sehen und zu deuten" und "unausgesprochene Einwände zu erkennen". Die Methoden, mit denen das trainiert wird: Meditation, Körperübungen, Rollenwechsel, Bildern.

Auch an heimischen Universitäten wird dem Managementnachwuchs emotionale Intelligenz mittlerweile gelehrt.

Neben Nachhilfe sei aber vor allem viel Übung und ausreichend Erfahrung unerlässlich, um den Soft Skill zu schulen, sagt Psychologe Korunka. "Das geht nicht von heute auf morgen." Ein förderlicher familiärerer Background sei ebenfalls maßgeblich. Denn ebenso wie viele andere Eigenschaften werde auch emotionale Kompetenz bereits in der Kindheit herausgebildet, sagt Korunka. "Wer mit sicheren Bindungen aufwächst, wird sich leichter tun."

Bauch und Kopf als Team

Auf emotionaler Kompetenz allein kann sich aber keiner ausruhen. Ein gewisses Maß an Verstand braucht es offenbar doch, um sich in der Arbeitswelt durchzuschlagen.

2006 veröffentlichte Goleman ein Buch, diesmal über "soziale Kompetenz". Um effektiv handeln zu können, sagte er dazu in einem Interview mit dem Magazin Der Spiegel, müsse das Gehirn kognitive und emotionale Ebene zusammenführen. Denn die kognitive Ebene bilde eher ein "intellektuelles Verständnis davon, wie die soziale Welt funktioniert, also das Wissen um angemessenes Verhalten".

Auch Myriam Bechtoldt, Professorin für Organizational Behavior in Frankfurt, unterstreicht: Es lasse sich zwar zeigen, dass emotionale Intelligenz Erfolg wahrscheinlicher macht, aber auch nicht mehr als andere Persönlichkeitsmerkmale. Die Bedeutung des Intelligenzquotienten (IQ) für den Berufserfolg sei bei weitem größer. Das höchste Karrierepotenzial hat man laut der Forscherin mit hohem IQ plus hoher emotionaler Intelligenz.

Tieferliegende Emotionen

Ähnlich argumentiert der Neurowissenschafter Klaus Lamm, der an der Universität Wien erforscht, welche Rolle Gefühle für Entscheidungen spielen. "An Emotionen führt kein Weg vorbei", stellt er fest, "sie werden das Verhalten immer beeinflussen." Wenn man wütend oder eifersüchtig ist, weil ein Kollege befördert wurde und man selbst nicht, könne es einem kaum gelingen, diese Gefühle einfach zu unterdrücken.

Mit ihnen umgehen zu lernen sei zwar ein Clue – dann brauche es aber sehr wohl auch den Kopf: Wenn er "dem Bauch hilft, können die besten Entscheidungen getroffen werden", sagt Lamm. Optimum: nicht die spontanen Gefühle nutzen, sondern versuchen, zu "tieferliegenden" Zugang zu finden. Also zu jenen Emotionen, "die entstehen, wenn man eine Situation etwas sickern lässt. Sie kommen besser an die Realität und die Komplexität der Arbeitswelt heran."

Hat ein Kollege oder eine Kollegin etwa einen wichtigen Termin nicht eingehalten, solle man seiner Wut nicht freien Lauf lassen, sondern eine Nacht darüber schlafen, um am nächsten Tag vielleicht nochmals über die Situation nachzudenken und zu erkennen, was einen wirklich stört. "Helfen kann, die Emotion zu benennen", meint Lamm. "Zu sagen: Jetzt bin ich wütend."

Davon, eine Entscheidung nur von einer Emotion abhängig zu machen, rät er ab. Ebenso davon, Gefühle zu unterdrücken: "In beiden Fällen wird es sicher keine gute Entscheidung." (Lisa Breit, 6.12.2015)