Thaiboxen gilt als eine der härtesten Kampfsportarten der Welt.

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Immer wieder bleiben Passanten draußen stehen, schauen bei den großen Schaufenstern hinein: Sie sehen grimmig dreinblickende junge Männer, die aufeinander einschlagen. Burschen, die von der Decke hängende Boxsäcke bearbeiten. Männer, die sich auf dem roten Mattenboden, mit dem das ganze Studio ausgelegt ist, mit Push-ups quälen.

"Das ist kein Ort für Prinzessinnen", sagt Anna, eine zierliche 30-jährige Spanierin, deren Boxhandschuhe so weiß sind wie ihre Zähne. Seit einigen Wochen ist sie Mitglied im Studio MMA Vienna. Hier kann man von Capoeira über Wrestling bis Boxen alles lernen. Warum ein Kampfsport? "Alleine würde ich mich nie so schinden", sagt Anna, während sie sich die Hände mit gelben Bandagen umwickelt.

Fakt ist: Zunehmend interessieren sich Frauen für Kampfsport. Besonders Thai- und Kickboxen sind beliebt, sagt Nicolas Löckel, Leiter des Studios im vierten Bezirk. Bekannt wurde der Sport wohl durch It-Girls wie das Model Gigi Hadid, die sich ihren zig Millionen Followern auf Instagram immer wieder beim Boxtraining präsentiert.

"Es ist ein Workout für den gesamten Körper", bestätigt der Salzburger Sportmediziner Josef Niebauer, der selbst Taekwondo unterrichtet und gelegentlich boxt. Bei den meisten Kampfsportarten würde man Rumpfmuskulatur, Arme, Beine und Ausdauer trainieren. Anfängern rät Niebauer dazu, dreimal pro Woche zu trainieren, um die Bewegungsabläufe zu verinnerlichen und das Verletzungsrisiko zu minimieren. Ist der Sport gefährlich? "Nicht mehr als andere Sportarten." Überlastungserscheinungen an Bändern und Sehnen seien bei Anfängern wahrscheinlicher als ein blaues Auge.

Vom Opfer zur Kämpferin

Viele Frauen, die eine Kampfsportart betreiben, wollen sich auch verteidigen können. "Wir leben zwar in einer der sichersten Städte, aber man muss gewappnet sein", sagt Löckel. Oft verfallen Opfer von Übergriffen in eine Schockstarre und können sich im Ernstfall nicht wehren, sagt er. "Wer eine Kampfsportart beherrscht, reagiert zumindest irgendwie." Das Know-how verändert das Selbstbewusstsein: vom Opfer zur Kämpferin.

Der Trainer bei MMA heißt Jusuf. Er sieht aus wie Bushido, hat kurzgeschorene Haare, trägt Leggins und ein enges Langarm-Shirt. Er kennt hier alle. Dauernd begrüßt er jemanden, klopft kurz auf die Schulter seines Gegenübers. Seit 22 Jahren kämpft Jusuf: erst Kung-Fu, dann Karate, Kickboxen, Boxen. Schließlich Thaiboxen. Der thailändische Nationalsport gilt als die härteste Kampfsportart der Welt, weil neben klassischen Boxschlägen und Tritten auch Knie- und Ellbogenstöße und Haltegriffe erlaubt sind. Wenn Jusuf das hört, grinst er. "Es ist die effektivste Art der Selbstverteidigung", sagt er. Selbst das Jagdkommando des Bundesheers und die Cobra trainieren die Techniken.

Das Training sieht so aus: Erst wird eine halbe Stunde lang aufgewärmt, im Kreis gelaufen, vorwärts, rückwärts, seitwärts. Rapmusik dröhnt aus den Boxen. Jusuf überschreit sie mit kurzen Anweisungen. Jedes Mal, wenn er klatscht, werfen sich alle auf den Boden, machen fünf Liegestütz. Er klatscht oft. Dann stellen sich alle in Reihen vor dem Spiegel an einem Ende des Saals auf. Die Anwesenden sind größtenteils junge Männer. Drei Frauen sind dabei – Anna und eine Freundin stehen hinten in der letzten Reihe. Die dritte Frau, eine 23-Jährige mit streng zurückgeflochtenem Haar, weiten, glänzenden Shorts und muskelbepackten Oberarmen, hat bereits erste Wettkämpfe hinter sich. Sie steht ganz vorne beim Spiegel, tänzelt, kämpft gegen sich selbst, wie Jusuf das in knappen Worten anordnet: macht "Jabs", Haken, tritt nach dem Spiegelbild.

Push-ups zur Strafe

Die Schrittfolgen werden immer komplizierter: Die Gruppe "puncht", tritt mit dem Knie, wirft das andere Bein blitzschnell hoch. Wer nicht spurt, muss zur Strafe Push-ups machen. "Im Unterricht geht es um Respekt", wird Jusuf später sagen, daher sei Strenge nötig. "Aber danach sind wir wieder Freunde."

Schließlich ist es so weit: "Anziehen", befiehlt Jusuf. Alle holen ihre Boxhandschuhe, ziehen Schutz für die Zähne über, sehen plötzlich aus wie Kampfkaninchen mit übergroßen weißen Zähnen. Auch Schienbeinschutz ist nötig, der das Bein vom Knie bis zu den Zehen bedeckt. Die Übungen, die Jusuf im Boxring vorzeigt, sehen einfach aus. Wie eine Choreografie sollen sie mit dem Gegenüber immer wieder wiederholt werden. Aber sein Gegenüber tatsächlich zu treten, mit der Faust auf sein Gesicht zu zielen? Das erfordert Überwindung.

"Wer boxt, hat natürlich einen gewissen Ruf. Man muss sich etwas trauen und entsprechend einstecken können", sagt Sportmediziner Niebauer. Manche würden genau diesen Kick suchen: "Die wollen mal zuhauen. Die wollen sich nicht mehr wegducken." Nur auf einen Sandsack zu hauen reiche daher nicht. "Man braucht den Gegner im Training, um zu sehen, wo die eigenen Lücken sind", sagt Niebauer.

Aerobic als Alternative

"Ihr müsst im Kampfmodus sein", ermahnt der Trainer am Ende, nach dem Dehnen, noch die Anwesenden. Verletzt hat sich niemand, die Hände riechen nach dem Ausziehen der Boxhandschuhe so, wie es hier überall riecht: nach saurem Schweiß. Ein bisschen Patina würde so ein Ort eben brauchen, sagt Löckel, der überlegt, künftig Kurse eigens für Frauen anzubieten. Auch eine weibliche Trainerin soll demnächst erstmals hier unterrichten.

"Wenn das Ziel ist, körperlich fit zu werden, reicht eigentlich Boxen", sagt Sportmediziner Niebauer. Ergänzend könnten aber Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren und Schwimmen ausgeübt werden. Und wer partout nicht hinhauen will, dem bleibt immer noch Tae Bo – eine Aerobic-Sportart mit Elementen aus Karate, Taekwondo und Kickboxen. Der einzige Gegner, den man dabei bekämpft, der ist man selbst im Spiegel. (Franziska Zoidl, 14.12.2015)