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Dass er zwischen Faschingsdienstag und Aschermittwoch geboren woren war, legte Boltzmann auf sein wechselhaftes Gemüt um.

Foto: picturedesk.com / Rudolf Fenzl

Wien – Am 20. Februar 1904 gab es in Wien eine große Party. Der damals international anerkannte Physiker Ludwig Boltzmann feierte seinen 60. Geburtstag, was nicht nur mit einer in Gold geprägten, ledergebundenen Festschrift von 928 Seiten begangen wurde, sondern auch mit einem großen Festakt. Als sich der Physiker Stefan Meyer Jahre später an die Feier erinnerte, schrieb er: "Bei dem Abendessen hielt Boltzmann eine Rede, in der er damit anfing, dass er erzählte, er sei in der Nacht zwischen Fastnacht und Aschermittwoch geboren, und dieser Kontrast spiegle sich in seinem ganzen Leben wider. Ich glaube, er hat sich damit ausgezeichnet charakterisiert."

Trotz seiner wissenschaftlichen Erfolge wechselte Boltzmanns Gemütszustand zeit seines Lebens sprunghaft zwischen höchster Freude und tiefster Traurigkeit. Neben seiner Nervenschwäche und den Suizidgedanken plagten ihn seit der Jugend körperliche Beschwerden wie Asthma, starke Kopfschmerzen und extreme Kurzsichtigkeit. Dennoch wurde Boltzmann zu einem der wichtigsten Physiker des 19. Jahrhunderts.

Im Herbst 1863 nahm er in Wien das Studium der Physik auf. Das Physikalische Institut der Universität Wien war damals erst 14 Jahre zuvor von Christian Doppler gegründet worden. Von 1849 bis 1875 befand es sich im dritten Bezirk in der Erdbergstraße 15. Die Gasse im neunten Bezirk, in der das Institut heute untergebracht ist, wurde 1913 nach Boltzmann benannt.

Vollendung der klassischen Physik

Josef Stefan und Josef Loschmidt förderten Boltzmann als Student nicht nur fachlich, mit ihnen war er zudem freundschaftlich verbunden. Auch war es Stefan, der ihm auftrug, James Maxwells Abhandlungen über elektromagnetische Wellen zu lesen – ein Rat, dem Boltzmann Folge leistete, obwohl er, wie er später schrieb "damals kein Wort Englisch verstand". Ein Lexikon seines früh verstorbenen Vaters half ihm bei der Lektüre.

Bereits 1866 publizierte Boltzmann noch als Student eine Arbeit zu den Maxwell-Gleichungen mit dem Titel "Über die mechanische Bedeutung des zweiten Hauptsatzes der Wärmelehre" – die Thematik wurde später zum Kern seines Lebenswerks. Er interessierte sich für den Zusammenhang zwischen den thermodynamischen Eigenschaften makroskopischer Körper und ihren mikroskopischen Bestandteilen.

Boltzmann vollendete mit seinen Beiträgen gewissermaßen die klassische Physik – und bereitete die Entwicklung der modernen Physik vor. Vor allem ist er für seine Interpretation des sogenannten Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik bekannt, der besagt, dass Wärme nicht von selbst von einem Körper niedrigerer Temperatur in einen Körper höherer Temperatur übergehen kann. Boltzmann schlug eine statistische Interpretation vor und erklärte das Gesetz mit der Wahrscheinlichkeit der Bewegung der mikroskopischen Teilchen. Diese Erklärung war nur möglich, wenn man von der Existenz von Atomen ausgeht – eine Anschauung, mit der Boltzmann damals recht allein war. Weil sie so klein sind, wagte damals kaum jemand zu hoffen, dass man sie je direkt nachweisen können wird.

Kampf um Anerkennung

"Um für die Anerkennung seiner Erkenntnisse gegen eine große Zahl von Opponenten zu kämpfen, setzte er seine ganze Lebenskraft ein", schrieb Ilse Fasol-Boltzmann in der Biografie über ihren Großvater aus dem Jahr 2006. "Von Natur aus körperlich schwächlich und seelisch sehr sensibel, betrieb er konsequent Raubbau an seiner Gesundheit und arbeitete oft bis zur vollständigen Erschöpfung." Dabei blieb sein Denken seiner Außenwelt oft unzugänglich, was sich auf verschiedene Weise niederschlug.

Etwa gebrauchte er den Begriff Wahrscheinlichkeit mit vier verschiedenen Bedeutungen. Für seine Notizen verwendete er eine eigene Ausprägung der Gabelsberger Kurzschrift, die Fasol-Boltzmann erst nach zehnjährigen Bemühungen lesen konnte. Außer ihr sollte das sonst niemandem gelingen. So wurde sie auch zur Entschlüsslerin seines Nachlasses, in dem sich nicht nur Fragmente von Berechnungen, sondern auch Aphorismen, Literaturnotizen und Witze fanden. In seinen letzten Jahren widmete sich Boltzmann verstärkt philosophischen Fragen und hatte so wichtigen Einfluss auf den Wiener Kreis.

1906 verschlechtere sich sein Zustand, bald konnte er seinen Verpflichtungen als Professor an der Uni Wien nicht mehr nachkommen. Von einem Erholungsaufenthalt mit Familie in Duino bei Triest kehrte er nicht mehr zurück. Am Tag vor der geplanten Abreise nahm er sich am 5. September 1906 das Leben. Fasol-Boltzmann resümiert über ihren Großvater: "Er war ein Revolutionär der damaligen Physik. In vielem wurde ihm jedoch erst nach seinem Tod recht gegeben, was bis in die heutige Physik nachwirkt." (Tanja Traxler, 13.12.2015)