Ja, die Welt ist ungerecht. Aber dafür können Alban und Attila Scheiber nichts. Schließlich können die Zwillinge auch wenig dafür, dass ihr Großvater Angelus Scheiber vor mittlerweile 54 Jahren einen Ort gründete. Oder zumindest ein Fundament legte. Angelus Scheiber blickte damals nämlich von Obergurgl aus hinauf zur "Angerer Alm", sprach: "Dort oben hat es viel Sonne, und da wär es gewaltig zum Skifahren" und schritt zur Tat: Er baute ein paar Skilifte und ein Hotel. Das war 1961: Das Wirtschaftswunder übte Stemmbogerln und war mit den ersten, zumeist deutschen Skigästen erstmals seit Kriegsende in nennenswerter Zahl auch auf dem Weg nach Tirol. Angelus Scheiber sorgte dafür, dass sie auch hierher kamen, in den hintersten und höchsten Winkel des Ötztals. Nach Hochgurgl.

Ein Motorradmuseum, oben auf den Bergen, wo im Sommer die Biker rasten, bauten die Scheibers hin.
Foto: Thomas Rottenberg

Obwohl es das damals gar nicht gab: Bis heute definiert Wikipedia Gurgl als "eine Fraktion der Gemeinde Sölden im Bezirk Imst in Tirol mit 564 Einwohnern (Stand 2015). Sie besteht aus dem Dorf Obergurgl und zahlreichen kleineren Ansiedlungen." Hochgurgl ist eine davon. Und wenn man sich vom Inntal hinter Holländern und Bussen mühsam die Alpenstraße herauf gekämpft hat, kann man hier, auf 2.100 Metern Seehöhe, entweder Rast machen, Ski fahren – oder nach Italien weiterreisen. Über das Timmelsjoch. Obwohl: Die Passstraße ist gerade gesperrt. Weil Teile von ihr von irgendeinem Autohersteller gebucht sind. Für Testfahren und Werbefilme. Oder beides. Oder weil zuviel Schnee liegt.

Eingewintert

Vielleicht – vermutlich – auch aus all diesen Gründen gleichzeitig. Aber was genau der Grund für die Sperre ist, spielt eigentlich keine Rolle. Weil derzeit ohnehin keine Motorradfahrer ins Ötztal, nach Ober- und Hochgurgl und aufs Timmelsjoch kommen. Schließlich ist Winter. Und da stehen die meisten Motorräder in der Garage. Oder im Keller. Aufgebockt. Eingewintert.

Eine Bianchi aus 1939 mit Königswelle.
Foto: Top Mountain Crosspoint

So wie auch die Motorräder von Angelus Scheibers Enkeln, Attila und Alban. Doch wenn die beiden Nachkommen des Tiroler Tourismuspioniers über ihren Fuhrpark sprechen, dann versteht auch der neidloseste Zeitgenosse, den Eingangssatz dieser Geschichte. Den von der Ungerechtigkeit der Welt: Die beiden Scheiber-"Buben" besitzen nämlich 170 Motorräder. Fast alle fahrtüchtig. (Im Sommer, versteht sich). Und das, erzählt die regionale Folklore gerne und mit Anekdoten und Legenden über die benzingeschwängerten Eskapaden der beiden Erben, sei zum einen nur der einspurige Fuhrpark und zum anderen nur der, auf den das Etikett "Oldtimer" anwendbar sei.

170 historische Maschinen

Anders gesagt: Wäre die malerische Fahrt über das Timmelsjoch nicht Grund genug, jedes Jahr hunderte, wenn nicht tausende Motorradfahrer vom Ötztal aus gen Italien cruisen zu schicken, wäre es das Wissen um die Sammlung von Alban und Attila allemal. Freilich: Nur in der Theorie. Denn von der Sammlung wusste bis dato kaum jemand – und eben weil niemand davon wusste, war es auch egal, wie und wo die 170 Maschinen aus allen Epochen der Motorradgeschichte gelagert waren. "Ausgestellt" hätte es, geben die beiden zu, nämlich eher nicht getroffen.

Ein Überblick von oben.
Foto: Top Mountain Crosspoint

Doch das soll – und wird – sich nun ändern. Denn die Lift- und Hochtalherren haben nicht einfach eins und eins zusammengezählt, sondern in ihre Rechnung noch andere Faktoren einbezogen. Etwa den, dass längst jeder zweite Mautzahler über das Timmelsjoch auf dem Motorrad sitzt. Oder dass der Standort der Timmelsjoch-Mautstation (wurde hier eigentlich schon erwähnt, dass die Straße sich seit einigen Jahren im Besitz der Scheibers befindet?) nicht nur ein idealer Standort für ein Restaurant und einen Parkplatz, sondern auch guter Einstiegsplatz in eine neue, weitere Seilbahn wäre. Und dass eben 170 wertvolle Motorräder, wenn sie gut gehegt und gepflegt werden, ein Anblick wären, der nicht nur ihre beiden Besitzer entzücken würde. Aber dann dürften die Böcke nicht in der Garage oder der Scheune stehen – sondern müssten ins Museum.

6000 Quadratmeter

Das Fazit all dieser Überlegungen wurde Ende November in Hochgurgl eröffnet. Es nennt sich "Top Mountain Crosspoint" und ist ein gut 6.000 Quadratmeter großes Multifunktionsgebäude, in dem neben einem Restaurant mit 280 Innen- und ("Dort oben hat es viel Sonne …") Außenplätzen, der Mautstation und einer hochmodernen Umlaufseil-Gondelbahn mit sitzbeheizten Zehnerkabinen eben auch das Scheiber'sche Motorradmuseum zu Hause ist.

Die beiden Scheiber-Brüder und der Architekt des Museums auf einer Indian von 1912.
Foto: Foto: Top Mountain Crosspoint

Oder: sein wird. Denn bei der Eröffnung war vom Musuem erst ein kleiner Teil fertig. Macht nichts: weil die Motorradfahrer eh erst im Frühjahr kommen und das Museum bis April fertig sein wird. Und weil die "nur" 20 bis 30 Maschinen, die da als "Appetizer" im Restaurant und zwei Nebenräumen ausgestellt sind, mehr als ausreichen, um sogar Nichtbikern Zauber und Faszination alten Eisens eindrücklich zu vermitteln.

Europas höchstgelegenes Motorradmuseum

Dabei, versichern die Bauherren, die sich und ihrer Passion hier auf 2.175 Metern Seehöhe um 23 Millionen Euro ein Denkmal setzten, werde das Museum an sich alles noch einmal toppen. Nicht, weil es das höchstgelegene Motorradmuseum Europas – wenn nicht der Welt – sei (so etwas beeindruckt höchstens in einer Pressemappe, ist Besuchern aber völlig wurscht). Sondern weil der Tiroler Architekt Michael Brötz auch im Inneren des in der Form einer Schneewechte gezeichneten Gebäudes vorrangig auf Holz setzte – und das Motorradmuseum so gestaltete, wie einst die Spielplätze der waghalsigsten der waghalsigen Motorradheroen des 20. Jahrhunderts aussahen: als Zitat eines hölzernen Steilwand-Rundkurses.

Alte Eisen auf neuen Kisten.
Foto: Top Mountain Crosspoint

Das passt, fand schon bei der Grundsteinlegung der Pate, den die Scheibers da ins Ötztal holten: Motorradlegende Giacomo Agostini. Der mit 15 Titeln erfolgreichste Fahrer der Motorrad-Weltmeisterschaft geriet angesichts der Sammlung auch ganz ohne museale Inszenierung ins Schwärmen. Agostini will und wird wiederkommen. Nicht nur zur Eröffnung: Er fragte, augenzwinkernd, ob er eventuell als Nachtwächter auf die ganz alten "Ladies" – eine Laurin & Klement von 1905, eine Harley-Davidson von 1914, eine Indian von 1912 und eine Brough Superior von 1939 – und ihre jüngeren Schwestern – die Moto Guzzis, MV Augustas, Ducatis, BMWs, NSUs, DKWs, Zündapps, Triumphs, Sunbeams, Nortons, Matchlesss, A.J.S.s, Brough Superiors, Vincents, Hondas, Hendersons, Indians und natürlich zahllosen Harleys (neben ein paar legendären Autos mit Renngeschichte: etwa ein Ferrari Californian Spider, ein Porsche 959 und ein Lotus 23 B) – aufpassen dürfe. Er habe da unlängst einen Film gesehen: "Nachts im Museum" …

Eine New Imperial von 1923.
Foto: Top Mountain Crosspoint

Die Antwort der Scheiber-Brüder ist nicht überliefert. Aber es darf davon ausgegangen werden, dass man sich amikalst geeinigt hat. Wenn dann ab April das eine oder andere Exponat kurzfristig einmal nicht auf seinem Podest im Museum steht, könnte es also durchaus sein, dass sich das Ausschauhalten auf der Timmelsjochstraße lohnt. Schließlich gibt es einen Ort, an dem wunderschöne Motorräder noch schöner sind als in einem zu ihren Ehren errichteten Museum: die freie Wildbahn. (Thomas Rottenberg, 14.12.2015)