Kchr-kchr-kchr-kchr. Das ist der Sound des Schneeschuhwanderers. Schritt für Schritt knirscht, quietscht, ächzt, atmet der Schnee unter den Latschen, die auf dem festen Schuhwerk der frohen Wandersleute angebracht sind.

Kchr-kchr-kchr-kchr. Den ganzen Tag ist dieses gleichmäßige Gehgeräusch ständiger Begleiter, ob es steil oder sanft den Weg bergauf oder bergab geht, ist ihm egal. Der Schritt macht die Musik.

"Bitte nehmen Sie reichlich warme Kleidung mit! Bevorzugt Fäustlinge, da diese länger warm halten. Ebenfalls mehr Paar dicke Socken und gute winterfeste Schuhe." Mit dem Wissen der Reiseleitung ausgestattet, stapft der kleine Trupp los, mitten hinein ins Hossa-Wandergebiet. Sieben Tage dauert die Tour ab Kuusamo, 670 Kilometer nordöstlich von Helsinki, im Ostrand Finnlands, ganz nah an der russischen Grenze. 34 Kilometer sind zurückzulege. Im Jänner kann es hier minus 40 Grad haben.

Schneeschuhwandern gilt in Finnland eher als Frauensport.
Foto: Doris Priesching

Bis zu sieben Stunden stapfen die Schneeschuhwanderer täglich durch die Hügellandschaft, Frühstück, Mittag- und Abendessen sind inkludiert, ebenso Nächtigung in Blockhütten. Die dicken Fäustlinge werden allerdings kaum benötigt. Ende Februar rutscht das Thermometer wie ein Irrtum der Natur immer mehr in den Plusbereich. Der Klimawandel hat auch hier Einzug gehalten. Für die Überquerung von zugefrorenen Seen reicht es aber allemal.

Überwachte Schengengrenze

Ville Hokkanen sitzt am Teich und wartet. Auf einem Dreibeinhocker hat er es sich bequem gemacht, der Blick geht nach unten zur Schnur, die er ins Wasser hält und an dessen Ende sich eine blinkende Kunstfliege befindet, die dem Fisch auffallen sollte, auf dass er zubeiße. "Sieben Meter ist das Eis an dieser Stelle tief", sagt Ville. Er werde den ganzen Tag hier verbringen. Mehr sagt er nicht. Nach 15 Minuten hat er seinen ersten Fang. Die Fische nimmt er mit nach Hause.

Foto: Doris Priesching

Nur wenige Kilometer hinter ihm liegt Russland. "Badland", heißt es unter Einheimischen. Gelbe Schilder informieren, dass hier die Schengengernze verläuft und es keinen Schritt mehr weiter geht. Auch ohne Zaun steht man unter Beobachtung. Wer die Grenze unerlaubt überschreitet, wird garantiert ausfindig gemacht: Hierher kommen fast nur touristische Gruppen, die Tageszeit der Ankunft kann eruiert werden, die Hundestaffel erledigt den Rest. Und da und dort mag hinter Bäumen und Sträuchern die eine oder andere Kamera angebracht sein. Der unerlaubte Grenzübertritt kostet auf finnischer Seite 650 Euro. "Wir nehmen uns aufgetragene Aufgaben sehr ernst", sagt Petri Leinonen, der Guide der örtlichen Agentur Upitrek.

Die Hütte ist sauber zu verlassen

Petris Anweisungen ist Folge zu leisten. Erklärt er am Abend, was die Truppe am nächsten Tag erwartet, heißt es aufpassen. Logistisch für bequeme Touris in Hütten ohne Elektrizität ist es tatsächlich eine Herausforderung, mitzudenken, wann welche Schüssel und welcher Löffel wo mitzunehmen ist, wie man zu Wasser kommt, respektive: wie man zu heißem Wasser kommt, wann man das letzte Holzstück am Abend in den Ofen wirft und wann das erste am Morgen, und dass man die Dinge, die irgendwo verstreut waren, wieder mitnimmt. Vorgabe: Die Hütte sauberer zu verlassen als man sie vorgefunden hat.

Foto: Doris Priesching

Das gilt auch für Mittagsplätze, an denen Suppen gekocht und Würstel gegrillt werden. Kein Fuzerl Müll ist im Umkreis zu finden, alle halten sich an den moralischen Imperativ, weswegen diese touristische Gesellschaft im Kern gesund ist.

Kaffee mit Käsewürfeln

Hossa war einst "Hungerland". Als es im November 1939 zum Winterkrieg zwischen Sowjetunion und Finnland kam, war die Not so groß, dass die Menschen sogar Bäume aßen: "Die innere Schale der Pinie ist genießbar", erklärt Petri. Die Schlacht konnten die Finnen für sich entscheiden, bis heute ein wichtiger Punkt im historischen Selbstverständnis der Region und des Landes.

Ältere Zeugen der Geschichte verbergen sich unter dem Eis und darüber: Bis zu 4.000 Jahre alt sind die großartigen Felsmalereien von Värikallio. Mehr als 60 verschiedene Figuren gibt der Stein frei: Elche, Fischotter, Menschen, Schamanen und Mischwesen.

Dass die Finnen ein schräges Volk sein sollen, hat sich irgendwie eingeprägt. Und so gut wie jeder und jede weiß mindestens eine superlustige Geschichte über skurriles Finnenverhalten zu berichten, was eine ziemlich beliebte Abendveranstaltung sein kann.

Hölökyn – kölökyn!

Wenn Finnen einander zuprosten, sagt der erste: "Hölökyn – kölökyn!" Das klingt sehr nett, heißt aber laut Petri: genau nichts. "No hölökympa hyinii kölökyn!", lautet dennoch die korrekte Antwort. Wer nun vermutet, dass sich auch dahinter hinter Nicht-Sinn verbirgt, irrt. "No hölökympa hyinii kölökyn" bedeutet nämlich recht höflich: "Dir ebenso!" Seltsam? Eine hab’ ich noch: Eines der Lieblingsgetränke im Osten ist Kaffee – mit Käsewürfeln. Die gängigste Kaffeesorte trägt den Namen Café Brutal – man trinkt ihn ohne Alkohol. Im Gegensatz zum hochprozentigen Kaffee Normal.

Ein bisschen Mut gehört schon dazu bei minus 20 Grad Celsius ins Eisloch zu hüpfen.
Foto: Doris Priesching

"Es gibt einige nicht so schöne Eigenschaften von Finnen, über sie wollen wir lieber nicht sprechen", sagt Petri dazu. Und dann erzählt er noch von dem Freund, der sich eine Sauna auf sein Beiwagenmotorrad montieren ließ.

Apropos Sauna: Finnland hat 5,5 Millionen Einwohner, 188.000 Seen und geschätzte zwei Millionen Saunen. Schwitzen ist dem Finnen heilig, nicht so sehr um das Immunsystem zu befeuern, sondern mehr zur Körperreinigung. Die Bedeutung der Saunen in Finnland geht über das uns bekannte Ausmaß hinaus: Früher wurden darin Kinder geboren, Petris Vater zum Beispiel ist ein Kind der Sauna. "Es gab keine Straße, die Wege waren weit." Sogar noch vor 50 Jahren kamen Babys im Nassraum zur Welt. Das verbindet.

Furzen verboten

Der Verhaltenskodex im Nassbereich ist denkbar einfach: Es gibt keinen. Während sich hierzulande Schwitzehrgeizige auf Bänken sortieren und nach streng vorgegebenem Ablauf, kein Schweiß aufs Holz, zehn Minuten vorglühen, fünf Minuten Aufguss und öffne nur ja keiner in dieser Zeit die Türe, es besteht Lynchjustizgefahr! – ihre Arbeit verrichten, geht das finnische Prinzip in Richtung fröhliches Wasserschmeißen. Die Nackedeis dürfen gerne auch ohne Handtuch auf den Bänken sitzen. Einer hat einen Kübel Wasser neben sich stehen, und wann immer es sich ergibt, nimmt er die Plastikkelle und schupft das Nass auf die heißen Steine. Mit der richtigen Backhand gelingt das ohne großen Wasserverlust, eine Technik, die man erst lernen muss.

Ein paar Regeln gibt es doch: In der Sauna verhält man sich leise, "ein bisschen wie in einer Kirche", sagt Petri. "Furzen ist verboten", ansonsten: "Genießt es."

Foto: Doris Priesching

Ähnliche Ernsthaftigkeit ist angebracht, wenn es darum geht, nach der Sauna sich durch ein zuvor ausgeschnittenes Eisloch in das rund ein Grad kalte Seewasser zu schmeißen. Zögerlichen gibt er einen Rat: "Wenn du die Entscheidung getroffen hast, denk’ nicht mehr darüber nach. Tu es einfach." Rein geht es schnell, lächeln fürs Foto auch, beim hastigen Raushechten holen sich manche blutige Knie. Aber was ist das schon gegen eine Mutprobe im finnischen Moor.

"Ilometer" nicht Kilometer

Schneeschuhwandern gilt übrigens eher als Frauensport: "Vielleicht, weil es leicht zu erlernen ist", vermutet Petri. Das mit der Leichtigkeit ist relativ zu sehen, bei Schneehöhen von einem Meter, droht man ohne der richtigen Technik zu versinken. Aber es stimmt schon, nur am ersten Tag purzeln Ungeübte in weiße Löcher. Bald werden die Tritte sicherer, die Schritte schneller, die Gesichter entspannter. Und weil der Ehrgeiz nicht zählt, gehen irgendwann alle mit einem Grinser am Gesicht durch die Pinienwälder, überqueren kilometerlange Seen und lernen, wie man den Kompass benutzt, Feuer macht und aus Birkenholz Kochlöffel schnitzt.

Am Ende des Tages geht es nicht um "Kilometer" sondern um "Ilometer", sagt Petri: Ilo heißt Freude, nicht die Distanz ist wichtig. Kchr-kchr-kchr-kchr! (Doris Priesching, 02.01.2016)