Wien – Durchwachsen fiel die Bilanz zu zehn Jahren Behindertengleichstellungsgesetz aus, die Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ), Behindertenanwalt Erwin Buchinger und ÖAR-Präsident Klaus Voget am Donnerstag in einer Pressekonferenz zogen. Ganz gut kam in Sachen Barrierefreiheit noch der öffentliche Bereich weg, im privaten Bereich, aber auch bei der Schul-Integration hat sich nicht viel verbessert.

Vor zehn Jahren trat das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft und die Behindertenanwaltschaft (damals unter Führung des BZÖ-Mannes Herbert Haupt) wurde eingerichtet. Mit dem 1. Jänner 2016 ist die letzte Übergangsfrist (Kostengrenze für Baumaßnahmen) gefallen. Vor allem bei der Barrierefreiheit sei viel geschehen, konstatierte Hundstorfer – aber "es gibt noch viel zu tun". So sieht er die Unternehmen bei der Arbeitsmarkt-Integration gefordert.

Schulische Integration stagniert

Buchinger, seit fast sieben Jahren Behindertenanwalt, würdigte den Paradigmenwechsel, von Schutz und Förderung hin zur vollen Teilhabe samt Möglichkeit, Schadenersatz für Diskriminierungen einzuklagen. Die rechtliche Position der Menschen mit Behinderung habe sich entscheidend verbessert, anerkannte Buchinger.

Aber er sieht nach wie vor einige "Schatten": Die Arbeitsmarktsituation für Behinderte habe sich verschlechtert, heute sei es noch schwieriger, eine bezahlte Arbeit zu bekommen. Die schulische Integration stagniere. Große Fortschritte gebe es bei der Barrierefreiheit bei öffentlichen Gebäuden – deutlich mehr als die Hälfte sei heute barrierefrei -, kaum aber im privaten Bereich, wo man noch weit unter 50 Prozent liege.

"Deutlicheres Bekenntnis zur Inklusion" nötig

So hat Buchinger eine Reihe von Forderungen: Der Zugang zu den Schadenersatzprozessen müsse erleichtert, das Prozessrisiko geringer werden, etwa mit besserer Vertretungsmöglichkeit oder Ausweitung der Verbandsklage. Die Beschäftigungsoffensive des Bundes sollte ausgebaut und mit Unternehmen und AMS Ziele vereinbart werden – etwa dass die Arbeitslosigkeit Behinderter nicht stärker steigen darf als die allgemeine Rate. Im Bildungsbereich wäre "ein noch deutlicheres Bekenntnis zur Inklusion" nötig, alle Kinder sollten in Regelschulen aufgenommen und damit Sonderschulen überflüssig werden.

Voget hält die Verschärfung des Gesetzes für nötig. So sollte bei Diskriminierung ein Anspruch auf Beseitigung baulicher Hürden oder Unterlassung gegeben sein. Nachgelegt werden müsse bei der Barrierefreiheit im privaten Bereich, in Gastronomie, Tourismus, Einzelhandel bestehe "unheimlicher Nachholbedarf". "Eigentlich unanständig" ist aus seiner Sicht die rot-grüne Ankündigung, dass Wien 2042 barrierefrei sein wird. Dass die Regelung nur für den Bund, nicht aber für Länder und Gemeinden gilt, ist für Voget eine der Schwächen des Gesetzes.

Hofburg ist barrierefrei

Hundstorfer ist sich dieser Schwächen bewusst – und setzt auf "Druck, den wir in Gesprächen aufbauen". Außerdem rechnet er mit "einigen Musterprozessen" – etwa hinsichtlich der Mariahilfer Straße, wo "manche Geschäfte" die Umbauarbeiten nicht genützt hätten, um "die berühmten 10 Zentimeter" Barriere zu beseitigen.

Die Hofburg ist barrierefrei, wusste Hundstorfer – der am Freitag zum SPÖ-Präsidentschaftskandidaten gekürt werden soll – auf Nachfrage über seine mögliche künftige Wirkungsstätte.

Grüne für Unterlassungsanspruch

Bessere rechtliche Möglichkeiten und mehr Kompetenzen für den Behindertenanwalt fordern die Grünen angesichts des zehnjährigen Jubiläums des Behindertengleichstellungsgesetzes. Es sollte nicht nur Schadenersatz eingeklagt werden können, sondern auch ein Anspruch auf Unterlassung oder Beseitigung von Barrieren bestehen, meinte Behindertensprecherin Helene Jarmer am Donnerstag in einer Aussendung.

Denn der immaterielle Schadenersatz, den Menschen mit Behinderung erreichen können – wenn es im Schlichtungsverfahren keine Einigung gibt -, sei sehr gering. Und die Barrieren blieben meist bestehen. Außerdem verlangte Jarmer die Ausweitung des Verbandsklagerechts. Dieses sei schwerfällig – und es müsste weiteren Behinderten- und Klagsverbänden die Möglichkeit gegeben werden, gegen Barrieren vorzugehen. Außerdem müsse das Kostenrisiko bei gerichtlichen Verfahren gesenkt werden. (APA, 14.1.2016)