Mit dem Titel "Chief" wollen Unternehmen ihre Mitarbeiter belohnen. Doch nicht alles, was nach einer Chefposition klingt, ist auch eine.

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In den USA gibt es neuerdings den Posten des Chief Happiness Officers (CHO). Seine Mission: die Mitarbeiter glücklich zu machen. Der Online-Händler Zappos hat eine solche Position eingeführt. Und immer mehr Unternehmen folgen seinem Beispiel.

"Vizepräsidenten" überall

Der CHO ist aber nur einer von vielen "Chiefs" in der sogenannten "C-Suite", der Chefetage von Unternehmen im angloamerikanischen Raum. Neben dem geläufigen CEO (Chief Executive Officer) und CFO (Chief Financial Officer) gibt es unter anderen den CMO (Chief Marketing Officer), den CXO (Chief Experience Officer) sowie den Chief People Officer (CPO). In den USA ist eine wahre Titelinflation ausgebrochen. Laut dem Economist ist die Zahl der Mitglieder mit dem Titel "Vizepräsident" auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn im Jahr 2010 um 426 Prozent gestiegen, die "Inflationsrate" der Chiefs lag bei 275 Prozent. Immer mehr Führungskräfte schmücken sich mit den etwas pompös klingenden Namen. Doch was steckt dahinter?

Ordnung im Titeldschungel

Peter Cappelli, Managementprofessor und Direktor des Center for Human Resources an der Wharton School der University of Pennsylvania, erklärt im Gespräch mit dieser Zeitung: "Es gibt einen guten Grund für den Chief-Titel in den USA: Unternehmen unterscheiden sich in dem Maße, wie sie Titel an Spitzenpersonal vergeben. Der Marketingchef ist in einigen Unternehmen Senior Vice President, in anderen Executive Vice President. Wenn man ein Chief dranhängt, ist klar, wer die Top-Person ist." Der zweite Grund liege darin, dass andere Funktionen dem Chief Financial Officer nachgebildet sind – "ein Titel, der eingeführt wurde, um verschiedene Ressorts wie Controller und Finanzleiter zu bündeln", so Cappelli.

Chief of Everything,...

Kodak und Dell haben "Chief Listeners" ernannt, die unablässig Namensnennungen der Unternehmen in sozialen Netzwerken scannen. Facebook hat "Chief Privacy Officers" ernannt (was ein wenig danach klingt, als hätte man den Bock zum Gärtner gemacht). Google hat einen Chief Culture Officer berufen, um die Open-Source-Kultur in einem multinationalen Unternehmen zu pflegen. Und T-Mobile beschäftigt einen "Chief Twitter Officer".

Social-Media-Experte oder Kulturbeauftragter reicht nicht mehr, es muss schon ein Chief sein. Darunter machen es sendungsbewusste Mitarbeiter nicht mehr. Seitdem sich Guy Kawasaki in den 1980er-Jahren bei Apple "Chief Evangelist" nannte, hat heute jedes Tech-Unternehmen, das etwas auf sich hält, einen Digitalevangelisten in seinen Reihen. Die Jobbezeichnung sorgt zuweilen für Verwirrung. Googles Vordenker Vint Cerf, der den Titel "Chief Internet Evangelist" offiziell im Namen führt, wurde bei einer Dienstreise nach Russland gefragt, ob er an Gott glaube, worauf Cerf schnippisch antwortete: "Nein, ich bin ein orthodoxer Geek."

Titel als Belohnung

Die Ursache für die Titelinflation ist im Wandel der Arbeitskultur zu suchen: In den letzten Jahren sind die Hierarchien flacher geworden, der Umgangston ist weniger autoritär, die Kleidung legerer, kurz: Distinktionsmerkmale werden sukzessive weniger.

Das Problem, das bei flachen Hierarchien entsteht, ist, dass es für Mitarbeiter kaum Beförderungsmöglichkeiten gibt. Wo keine Karriereleiter vorhanden ist, gibt es folglich keine Sprosse zum Aufstieg. Daher gehen Unternehmen dazu über, ihren Mitarbeitern zur Belohnung Titel wie "Chief Marketing Officer" oder "Chief People Officer" zu verleihen, um darin ihre Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Nicht jeder Chief ist König

Doch nicht alles, was hochtrabend klingt, ist auch wirklich eine High Position. Der "Chief Receptionist Officer" ist letztlich nur ein Hotelangestellter. Und der "Brand Evangelist" ist auch kein Heilsbringer, sondern bloß ein PR-Mensch.

Das Magazin Forbes mokierte sich unlängst über die Titelhuberei. "C is for silly" – C steht für dumm, lautete die Überschrift des Textes. "Das alles ist ein Kindergartenspiel der Unternehmen, Titel zu erfinden", kritisierte der Marketing-Experte Mark Stevens in ebenjenem Artikel. "Es ist ein Puppenspiel. Diese Leute haben absolut keine Macht." Das sieht auch Mark Cappelli so. "Ich denke, man schafft damit keine neuen Bosse", sagt der Managementprofessor.

Wann das C gerechtfertigt ist

Die Frage ist, ob durch die Chief-Inflation nicht die Aufgabenprofile verwässert werden und ein Führungsproblem entsteht – nach dem Motto: zu viele Häuptlinge, zu wenige sogenannte "Indianer". Robert Plant, Professor an der School of Business Administration der University of Miami, sagt im Gespräch mit dieser Zeitung: "C-Titel sind wichtig, solange sie einen klaren Aufgabenzuschnitt und Berichtswege sowie Ressourcen und Verantwortung haben, Probleme zu lösen."

So war der Chief Sustainability Officer (CSO) von SAP Bevollmächtigter bei den jüngsten Klimaverhandlungen in Paris. Doch nur wenn den Chiefs eine echte Kompetenz zugewiesen wird, hat das C im Portfolio auch seine Existenzberechtigung. (Adrian Lobe, 18.1.2016)