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Was tun, wenn heuer mehr als 37.500 Flüchtlinge nach Österreich wollen? Diese Frage beschäftigt nun Rechtsexperten.

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Wien – ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka setzt dem Rästelraten seit dem Asylgipfel ein Ende, wie sich die schwarze Regierungshälfte die rechtliche und praktische Ausgestaltung der jährlichen Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen vorstellt. Konkret einigten sich SPÖ und ÖVP – entgegen vieler Prognosen – darauf, schon heuer maximal 37.500 Asylanträge zuzulassen, Familiennachzug inklusive.

Bis 2019 soll die Zahl auf 20.000 sinken. Schuldig blieben die Regierungsspitzen bisher, wie sie diese Reduktion konkret bewerkstelligen. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und sein Vize Reinhold Mitterlehner (ÖVP) stellten zwei Gutachten in Aussicht, die bis spätestens Ende März dazu erstellt werden sollen.

Schwere Belastungen

Lopatka verweist im STANDARD-Gespräch nun darauf, dass in der Präambel der Genfer Flüchtlingskonvention, Absatz 4, auf den Grundsatz hingewiesen wird, dass "sich aus der Gewährung des Asylrechts nicht zumutbare schwere Belastungen für einzelne Länder ergeben können" – und dass eine Problemlösung "ohne internationale Zusammenarbeit dann nicht erreicht werden kann".

Auch den Artikel 72 des Unionsrechts zur Reisefreiheit bringt der ÖVP-Klubchef gegen den hohen Flüchtlingsandrang in Stellung: Hier werde darauf hingewiesen, dass davon "die Wahrnehmung der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nicht berührt" sei – woraus Lopatka Folgendes ableitet: Dass ab dem Überschreiten der Obergrenze, also ab 37.501 Asylwerbern in diesem Jahr "nur mehr Menschen nach Österreich einreisen dürfen, die nach fremdenpolizeilichen Maßstäben berechtigt sind".

Einreise verweigern

Heißt: alle EWR-Bürger und jene, die über Reisepass mit entsprechendem Visum verfügen. Für Flüchtlinge aber bedeutet das: "Dass ihnen an der Grenze die Einreise verweigert wird, weil sie ja aus einem sicheren Drittstaat kommen – und Österreich ist ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben. Nach der Genfer Konvention wären wir auch nicht mehr verpflichtet, deren Asylanträge anzunehmen."

Diese Vorgangsweise gelte es, im Asyl- und Fremdenpolizeigesetz klar zu regeln, aber im Prinzip soll die Republik damit zu der Anwendung des Dublin-Prinzips zurückkehren, wonach Flüchtlinge in jenem Staat um Asyl ansuchen müssen, in dem sie erstmals EU-Raum betreten haben.

"Massen werden nicht mehr kommen"

Doch was, wenn weiterhin massenhaft Menschen an die heimische Grenze drängen? "Massen werden nicht mehr kommen", glaubt Lopatka, weil auch die Westbalkan-Staaten eine ähnliche Vorgangsweise wählen werden – und Österreich sei "hier nicht in der Alleinverantwortung, alle Flüchtlinge aufzunehmen".

Ob die Schutzsuchenden es trotz Obergrenze nicht weiterhin probieren werden, nachdem Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) klargestellt hat, dass ein Überschreiten der Flüchtlingszahl möglich ist? Hier nimmt Lopatka das neue Regierungsmitglied und auch das Bundesheer in die Pflicht: "Die Aufgabe in seiner neuen Funktion ist es, umzusetzen, was wir vereinbart haben" – wenn nötig, für Lopatka auch mit einem Aufmarsch des Militärs wie einst im Burgenland an der Grenze, denn: "Landeshauptmann Hans Niessl wird Doskozil bestätigen, dass das dort 21 Jahre lang problemlos funktioniert hat."

Expertenvorschläge

Zwei Professoren – der Europarechtler Walter Obwexer und der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk – sind von der Koalition mit der rechtlichen Expertise beauftragt. Auch Obwexer erläutert, "dass Obergrenzen grundsätzlich sowohl nach der Genfer Flüchtlingskonvention als auch nach Unionsrecht rechtfertigbar sind". Zusatz des Experten von der Uni Innsbruck: "Wenn gewisse Voraussetzungen eingehalten werden."

Begleitende Maßnahmen

Bei der Frage, was man sich darunter vorstellen darf, bleibt Obwexer noch unkonkret. Eine umfassende Stellungnahme will er erst nach Abschluss der Expertise abgeben, sagt aber: "Eine Höchstzahl ist dann möglich, wenn sie so verstanden wird, dass sie durch eine Reihe von rechtskonformen Maßnahmen erzielt wird." Er geht davon aus, dass Österreich schon in den nächsten Monaten "nicht mehr alle Asylanträge wie bisher behandelt", damit man die Höchstzahl nicht schon im April oder Mai überschreitet. "Man muss vorher reagieren, damit man gewisse Reserven hat."

Aber kann man wirklich den 37.501. Asylantrag einfach ablehnen? So pauschal lasse sich das nicht sagen, meint Obwexer. "Das hängt von der konkreten Situation des Betreffenden ab. Wenn es sich um einen Schutzsuchenden handelt, den Österreich nicht in einen sicheren Drittstaat abweisen kann, dann müsste man den Asylantrag prüfen."

Funk kein Anhänger von Obergrenzen

Funk hält fest, dass er "kein Anhänger von festen Obergrenzen" sei. Eine ausführlichere Beurteilung stellt er für kommende Woche in Aussicht. Für ihn gibt es aber weder völkerrechtlich noch verfassungsrechtlich einen "Rechtsgrundsatz", dass bei einem massenhaften Flüchtlingsandrang in Millionenhöhe "ein Staat zu Handlungen verpflichtet werden kann, die seine Handlungsunfähigkeit zur Folge haben".

Völkerrechtler Manfred Nowak interpretiert die Obergrenze von 37.500 Asylanträgen "als politisches Zielvorhaben". Als "politisches Signal an die Union und die FPÖ" sei das keineswegs völkerrechtswidrig, denn so richte man eine Botschaft an die anderen EU-Staaten, dass "wir nicht die Hauptverantwortung" für die ankommenden Schutzsuchenden "tragen können", erklärt der Experte. "Das Vorgehen ist aus politischen Gründen verständlich, wenn man es mit Überzeugungsarbeit schafft", dass nicht mehr Menschen ankommen.

Nowak: Umsetzung rechtlich schwierig

Rechtlich gesehen werde es allerdings heikel, wenn 2016 hierzulande der 37.501. Asylwerber einen Antrag stellen will. Denn gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention braucht es ein Asylverfahren, wenn jemand um Schutz vor Verfolgung bittet. Ebenso replizieren die EU-Grundrechtscharta und die EU-Asylrichtlinie auf diese Vorgangsweise.

"Das können wir nicht ignorieren", sagt der Menschenrechtsexperte der Uni Wien. "Entweder es gibt dann einen neuen Asylgipfel der Regierung", oder man setze "auf Brachialmethoden wie etwa die Errichtung eines Zauns wie in Ungarn", sodass die Asylwerber erst gar nicht ins Land kämen. "Aber diesem Beispiel sollten wir nicht folgen."

Lage in Syrien und Türkei unklar

Dazu verweist Nowak darauf, dass die Zielvorgabe womöglich allein deswegen nicht zu halten sei, "weil niemand sagen kann, wie sich die Lage in Syrien oder der Türkei entwickelt, denn die kann dort weiter eskalieren". (Günther Oswald, Nina Weißensteiner, 21.1.2016)