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Der neue Premier Tihomir Orešković und HDZ-Chef Tomislav Karamarko im kroatischen Parlament.

Foto: REUTERS/ANTONIO BRONIC

Vor nicht allzu langer Zeit lebte der neue kroatische Premier Tihomir Orešković das Leben eines erfolgreichen Geschäftsmanns. Seine Aufgabe war, das Geld von anderen zu vermehren. Und dafür wurde er auch gut bezahlt. Seine globalen Geschäftstätigkeiten führten ihn von Nordamerika zurück nach Europa, zurück in sein Geburtsland Kroatien und seine Geburtsstadt Zagreb. Während eines kurzen Abstechers nach Amsterdam als Chef für Europa und Nahost des Pharmaunternehmens Teva schlägt sein Leben plötzlich eine neue Richtung ein. Nun, so wird erzählt, hat ein Amsterdam-Aufenthalt schon das Leben vieler Menschen verändert – aber nie in der Art und Weise wie bei Tim, wie Tihomir von seinen Freunden genannt wird.

Altbewährtes

Während Tim in Amsterdam dafür sorgt, dass die Gewinne Tevas steigen, tobt tausend Kilometer südöstlich in seiner alten Heimat der ganz normale ideologische Wahnsinn. Die Sozialdemokraten, von den Christdemokraten als Kommunisten bezeichnet, und die Christdemokraten, ihrerseits von den Sozialdemokraten Ustašas oder Faschisten genannt, führen wieder einmal Wahlkampf. Die Parlamentswahl 2015 steht vor der Tür, und die altbewährten Wahlkampfstrategien der beiden immer kleiner werdenden und immer einfallsloser agierenden Großparteien werden von neuem durchgespielt.

Irgendwann zu dieser Zeit hat jemand die glorreiche Idee, den nichtsahnenden Tim zu kontaktieren und ihm ein unmoralisches Angebot zu unterbreiten.

"Hallo, Tihomir, hier ist Tomislav!"

"Tomislav who? Ah, ich meine, wer?", antwortet Tim mit seinem kanadischen Akzent.

"Tomislav Karamarko, Chef der größten kroatischen Partei HDZ!"

"HDZ, das kenne ich, bei uns Kroaten in Kanada seid ihr sehr beliebt."

"Das ist normal in der Diaspora, sonst hätten wir ihnen das Wählen schon längst verunmöglicht!"

"Hahaha, du hast Sinn für Humor. Das gefällt mir. Wie kann ich dir helfen?"

"Bei uns steht die Koalitionsbildung an, und wir haben uns irgendwie in eine Zwickmühle geredet, wir haben nämlich davon gesprochen, dass wir mithilfe von Experten die Wirtschaft Kroatiens wieder ankurbeln werden."

"Das hört sich gut an, aber wo liegt das Problem?"

"Unsere Experten sind leider wegen Korruption im Gefängnis oder haben es gerade verlassen, und wir wollen die neue Regierung nicht in Misskredit bringen."

"Du bist ein strategisch denkender Mensch, das gefällt mir. Du blickst mit dem Wissen der Vergangenheit in die Zukunft."

"Danke, und da sehe ich dich …"

"… mich?"

"Ich sehe dich als den neuen kroatischen Premier."

"Premier?"

"Ja, du erfüllst alle Voraussetzungen, da sich unser Koalitionspartner, wir nennen es aber Kooperationspartner, auch in eine Bredouille gebracht hat. Sie haben ihren Wählern versprochen, dass sie nur eine Koalition eingehen, wenn an der Spitze des Staates ein parteiloser Kandidat steht."

"Ah, verstehe, und das wäre dann eben ich?!"

"Ja, genau."

"Aber ich kann die kroatische Sprache nicht so gut."

"Mach dir keine Sorgen, ich werde dir alles sagen, was du zu sagen hast."

"Aber ich bin Betriebswirtschaftler, wäre nicht ein Volkswirtschaftler in der Position besser?"

"Hä? Warum verkomplizierst du die Sache, du bist Ökonom!"

"Stimmt … aber ich bin kein Politiker"

"Auch da mach dir keine Sorgen, ich werde dir schon alles, was du brauchst, zeigen."

"Danke dir … aber ich kenne die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht so gut und …"

"Wie schon gesagt, ich werde mich um alles kümmern."

"Du bist sehr zuvorkommend! Aber wie erklären wir den Wählern, dass ich nicht bei den Wahlen angetreten bin und trotzdem Premier werde?"

"Denk nicht so viel an die Wähler, wir pflegen die ideologisch geprägte gesellschaftliche Spaltung ständig, und damit ist die Bevölkerung so beschäftigt, dass wir tun und lassen können, was wir wollen."

"Was wir wollen?!"

"Ja!"

"Wäre es dann auch möglich, mich als Robin Hood darzustellen? Ich wollte nämlich schon immer Robin Hood sein."

"Die Analogie passt zwar nicht ganz zu unserem Vorhaben, aber mach dir keine Sorgen, wir können es schon so drehen."

"Das ist ja cool! Ich bin mit dabei."

Erste Zweifel

Einige Monate später, nachdem die neue Regierung angelobt wurde, beginnt Tim sich das erste Mal zu fragen, ob er das Richtige getan hat. Tomislav Karamarko ist aber sofort zur Stelle und versucht seine Zweifel zu beseitigen.

"Tim, du schaust betrübt aus, was ist los?"

"Tomy, die Leute reden ständig davon, wir seien Ustašas und schlechte Menschen."

"Ich habe dir schon mal gesagt, solange die eine Seite damit beschäftigt ist, uns so zu nennen, und die andere Seite damit, uns zu verteidigen, können wir tun und machen, was wir wollen."

"Aber ich will den Leuten helfen!"

"Das wirst du noch, aber zuerst müssen wir uns helfen."

"Das verstehe ich schon, ist im Business genauso, aber warum musste der Parlamentspräsident Reiner schon bei seiner ersten Sitzung über Bleiburg und die Umbenennung des Parlaments reden. Beide Themen haben doch Ustaša-Bezüge."

"Lass dir das doch nicht einreden. Wir denken, dass aller Opfer – außer der Kommunisten – gedacht werden sollte, und deswegen sollte das Parlament wieder die Hoheit über die Bleiburg-Trauerfeiern haben. Was die Umbenennung des Parlaments angeht, so war 'Hrvatski državni sabor' der erste Name des kroatischen Parlaments im Jahr 1848, und wir wollen das wieder so einführen."

"Aber Journalisten haben doch in Archiven nachgesehen und festgestellt, dass das nicht stimmt. Dieser Name ist aus der NDH-Zeit (Unabhängiger Staat Kroatien, Anm.)."

"Wem glaubst du mehr, irgendwelchen kommunistischen Journalisten oder mir?"

"Kommunisten sind gegen den Kapitalismus, natürlich glaube ich dir!"

"Siehst du, alles lässt sich erklären. Hast du noch irgendwelche Bedenken?"

"Warum mussten wir unbedingt die kontroversen Personen Mijo Crnoja und Zlatan Hasanbegović als Veteranen- und Kulturminister einstellen?"

"Das habe ich dir schon erklärt, das sind Zugeständnisse an den rechten Rand unserer Wählerschaft. Sie sind aber jederzeit ersetzbar."

"Aber warum sagen die Leute, sie seien Ustašas?"

"Tim, denk doch mal nach. Zlatan ist selbst Bosniake, also kann er gar nicht Ustaša sein."

"Stimmt, du hast recht!"

"Zlatan mag bloß den Kommunismus nicht …"

"Den mag ich auch nicht, ist nur was für faule Leute. Ich bin ein tüchtiger Businessman. Ich habe Erfahrung in der Verwaltung fremden Kapitals."

"Ja, die hast du, und nichts anderes musst du jetzt machen."

"Na ja, Volkswirtschaft ist schon etwas anderes als Betriebswirtschaft, aber …"

"Aber das weiß doch fast keiner."

"Was ich aber auch nicht verstehe, ist: Warum sind wir eigentlich gegen Abtreibungen?"

"Tim, konzentriere dich doch auf deine wichtigste Aufgabe, die Wirtschaft Kroatiens wieder auf Vordermann zu bringen. Und außerdem ist das bloß ein weiterer Beweis, dass wir nicht Ustašas sind, oder hast du schon gehört, dass die Ustašas gegen Abtreibungen waren?"

"Nein, habe ich nicht!"

"Siehst du, alles nur eine kommunistische Verschwörung."

"Ah, dieser Kommunismus, wir müssen dem ein Ende setzen."

Einige Minuten später trifft sich der besorgte Tomislav Karamarko mit seiner rechten Hand, und dem Chef der Partei Most, Božo Petrov.

"Božo, Tim beginnt langsam, uns zu durchschauen."

"Das glaube ich nicht, der frisst uns aus der Hand."

"Na, ich weiß nicht, er stellt viele Fragen, die in den Medien aufgeworfen werden."

"Dann denunzieren wir die kritischen Medien als kommunistische Propaganda."

"Das habe ich bereits getan, und noch klappt das, aber die Frage ist, wie lange noch?"

"Dann denunzieren wir als Nächstes die Journalisten als Serben."

"Ja, das ist klar. Tim ist sich sogar über die Allusionen, die bei diesem Begriff mitschwingen, nicht im Klaren. Der glaubt noch immer, das wäre eine wertneutrale Bezeichnung für unsere Nachbarn."

Božo bricht in Gelächter aus: "Wirklich? Hahaha, da haben wir den Richtigen erwischt. Diese liberalen Kroaten in Kanada müssen wir auf den aktuellsten Stand in Kroatien bringen, beziehungsweise einfach nur, dass sich bei uns – im Gegensatz zu ihnen – diesbezüglich seit den 90ern nichts verändert hat." (lacht)

"Ja, wir müssen das auch dem Tim erklären. Die Frage ist aber, wie lange dann diese Strategie hält."

"Tomo, müssen wir uns Sorgen machen? Sollten wir also schon Pläne für seine Nachfolge entwickeln?"

"Zuerst kümmern wir uns um Crnoja und Hasanbegović, und dann, wenn er weiterhin zu viele Fragen stellt, sollten wir auch daran denken …"

"… und wenn wir diese geschmiedet haben, wird er freiwillig unsere Runde verlassen wollen. Und wir beiden können dann offiziell das Land führen. Den Wählern erklären wir es so, dass es die Ausnahmesituation nach dem Rücktritt Oreškovićs erfordert." (lacht süffisant)

"Du bist so dreist."

"Als Psychiater weiß ich, wie ich mein Gewissen beruhigen kann!" (Božo zwinkert Tomislav zu)

"Dich an meiner Seite zu haben war die beste Entscheidung meines Lebens."

"Auch ich genieße jeden Moment."

"Gegen die Schwulen müssen wir etwas machen."

Nach einigen Sekunden des Schweigens sagt Božo:

"Lass uns gemeinsam Beten gehen, da sind wir ungestört."

In einem Raum nebenan sitzt Tim alleine und ruft sich in Erinnerung, warum Teva ihm zu diesem Posten geraten hat.

"Teva hat gesagt, ich soll bei allem mitmachen, den Marktwert des Unternehmens würde diese Gratiswerbung enorm steigern. Wenn die Zeit reif ist, kann ich wieder zurück, haben sie gesagt. Der einzige Unterschied ist, dass mein Gehalt derzeit vom kroatischen Volk bezahlt wird, und wenn ich dann wieder bei Teva bin, wird mein Gehalt viel höher sein … Manchmal muss man eben etwas investieren, um den Profit mittel- und langfristig zu steigern."

Beruhigt verlässt Tihomir den Raum und sieht, wie Tomislav und Božo die "Banski Dvori", den Sitz der kroatischen Regierung, verlassen.

"Die beiden scheinen wieder Gebetsbedarf zu haben. Zumindest habe ich vor ihnen jetzt einige Zeit Ruhe." (Siniša Puktalović, 29.1.2016)