Es gibt niemanden in meiner Familie, der kein Skilehrer wäre." Cédric Gorini steht vor seinem gerade einmal vor zehn Tagen eröffneten Hotel und schaut auf die umliegenden Hänge. Sessellifte, Gondellifte, Schlepplifte. Während man anderswo in diesem Winter lange auf Schnee warten musste, sieht man hier kaum braune Flecken. "Zum Glück liegen wir so hoch", sagt Gorini und erzählt von den Schneemassen, an die man in Val Thorens gewöhnt ist.

Auf 2.300 Meter Seehöhe liegt das französische Skigebiet. Wenn sich unten im Tal die Wiesen braun oder grün färben, dann fährt man hier schon oder noch immer Ski. Vor ein paar Jahren hat man die Lifte noch Anfang November in Betrieb gesetzt, mittlerweile wird in Val Thorens die Saison erst Ende November eingeläutet. Dafür sind die Lifte bis Mitte Mai geöffnet. "Im Sommer ist hier nicht viel los", erzählt Gorini. Statt 26.000 Gästebetten sind dann 3.000 belegt. Das ist die Zeit, in der Gorini den Schnee anderswo sucht: am Himalaja, in Spitzbergen, Chile oder in Grönland.

Alles in Val Thorens ist auf Ski fahren ausgerichtet.
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Val Thorens ist ein Ort, in dem man häufiger auf Bergfexe wie Cédric Gorini trifft. Die Duschen seines Fünfsternehotels Pashmina sind mit Fotos einer Annapurna-Expedition dekoriert, bei der er vor ein paar Jahren dabei war. Für abenteuerlustige Hotelgäste hat er eine Jurte errichten lassen. "Ich gehöre zu den ersten Kindern, die in Val Thorens aufgewachsen sind", erzählt Gorini. Seine Eltern stammen aus Lyon, doch als man 1971 daran ging, den höchstgelegenen Skiort Europas aus dem Boden zu stampfen, zogen sie hierher in die Savoyer Alpen. "Das war eine harte Zeit." Heute besitzt die Familie neben dem Pashmina das Viersternehaus Hôtel des 3 Vallées, Bruder Arnaud betreibt das Pistenrestaurant Chalet de la Marine.

Mit dem Lift auf 3.230 Meter

Gerade einmal 800 bis 900 Menschen leben das ganze Jahr über in dem nur über viele Serpentinen erreichbaren Dorf. Wobei man sich unter dem Wort "Dorf" eine relativ schmucklose Ansammlung von Bettenburgen vorstellen muss, zusammengehalten von einer Kirche, ein paar Supermärkten und einem riesigen Parkhaus. Anders als im Nachbarort Les Menuires 450 Höhenmeter weiter unten hat man sich zumindest dazu durchringen können, keine Hochhäuser in die kahle Berglandschaft zu setzen. Der Blick kann so unverstellt auf die umliegenden Gletscher schweifen, den Glacier de Péclet, den Glacier de Thorens und den Glacier du Bouchet. Auf über 3.500 Meter Seehöhe erheben sich die dazugehörigen Gipfel, der höchste Lift erreicht 3.230 Meter.

Val Thorens in den Savoyer Alpen hat 800 bis 900 permanente Einwohner – und 26.000 Gästebetten. Im Winter sind sie meistens belegt. Unter dem Wort "Dorf" muss man sich eine relativ schmucklose Ansammlung von Bettenburgen vorstellen, zusammengehalten von einer Kirche, ein paar Supermärkten und einem riesigen Parkhaus.
Foto: Stephan Hilpold

In Val Thorens ist alles aufs Skifahren ausgerichtet. Rechnet man die Nachbarorte Méribel und Courchevel dazu, mit denen man sich zum Skiverband Les 3 Vallées zusammengeschlossen hat, kommt man auf insgesamt 600 Pistenkilometer. Statt Rüscherl und Germknödel werden hier Champagner und Austern serviert, beim Après-Ski im berühmten Folie Douce treten keine Lederhosencowboys, sondern DJs von Weltrang auf, sowohl 2013 als auch 2014 streifte man den Titel "Bestes Skiressort der Welt" ein.

Auch Timothée Theaux kennt die Superlative. Er ist der große Bruder des Skirennläufers Adrien, statt Abfahrt und Super-G ist er auf Skicross spezialisiert, auf jene Disziplin also, in der vier Läufer parallel über steile Buckelpisten brettern. Der Skicross-Weltcup macht in Val Thorens jährlich zu Saisonbeginn Station.

Aprés Ski á la Val Thorens
Foto: Stephan Hilpold

An diesem Tag führt der Skilehrer frühmorgens aber eine kleine Skitourengruppe: "Das mache ich nicht so oft, die meisten Gäste kommen hierher wegen der vielen Pisten." Um im liftlosen Gelände eine Tour zu machen, muss man sich in Val Thorens ins Auto setzen, viele der kleinen Seitentäler sind komplett unverbaut, anders als in den Ostalpen sind hier auch kaum Almhütten zu sehen. "Hier gab es so gut wie gar nichts, als man Anfang der 1970er-Jahre beschloss, die ersten Lifte zu bauen."

Keine neuen Hotels

40 Jahre später tut man sich schwer, sich das vorzustellen. Das Hotel Pashmina dürfte das letzte Hotel sein, das für einige Zeit gebaut werden durfte. "Allein die Arbeiter unterzubringen, ist schon schwierig genug." Langsam steigt die Sonne höher, die Lifte nehmen den Betrieb auf, Timothée Theaux drängt darauf umzukehren. Wie beinahe jeden Tag trainiert der Skilehrer auch heute wieder für ein Skirennen, bei dem die besten Köche des Landes gegeneinander antreten.

Foto: APA/AFP/PHILIPPE DESMAZES

Er selbst ist natürlich nicht dabei, aber Jean Sulpice, ein 37-jähriger Spitzenkoch, der sich in seinem gleichnamigen Restaurant vor ein paar Jahren den zweiten Stern erkocht hat. Am Abend zuvor hatte er noch Maronischaumsüppchen mit Parmesanemulsionen und einen süßen Schneeball als Dessert serviert, jetzt steht er auf der Piste und studiert gemeinsam mit Theaux den perfekten Siegerlauf. "Ich habe in meinem Leben schon viele Jobangebote bekommen", erzählt der Meisterkoch. "Das Problem ist nur: In welchem Ort kann ich, bevor ich zur Arbeit gehe, noch schnell eine Skitour machen?" In Val Thorens ist das kein Problem. Wahlweise allein oder mit anderen Bergfexen. (Stephan Hilpold, Rondo, 5.2.2016)