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In Hinkley Point soll ein neues Kernkraftwerk gebaut werden.

Foto: REUTERS/Suzanne Plunkett

Paris/London/Wien – Die internationale Atomindustrie ist dabei, den Anschluss zu verlieren. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass in Großbritannien erstmals seit zwei Jahrzehnten ein neuer Komplex aus dem Boden gestampft werden soll. Ausständig ist aber noch die Investitionsentscheidung des französischen Staatskonzerns EdF (Électricité de France), den die britische Regierung im Herbst 2013 geködert hat.

Neunmal stand das Thema bereits auf der Tagesordnung des EDF-Aufsichtsrats, zuletzt Ende Jänner. Jedes Mal wurde verschoben. Mitverantwortlich für das Hinauszögern dürfte die prekäre Finanzsituation von EdF sein. Der weltweit größte Betreiber von Atomkraftwerken (AKW) ist mit rund 37 Milliarden Euro verschuldet, leidet wie viele andere Stromerzeuger an den niedrigen Großhandelspreisen und muss zu allem Überdruss auch noch den in Schieflage geratenen staatlichen Atomkonzern Areva stabilisieren.

Abstimmung Mitte Februar erwartet

Nichtsdestotrotz geht man in der Branche davon aus, dass der 18-köpfige Aufsichtsrat Hinkley Point Ende dieser, spätestens aber kommende Woche zur Abstimmung bringen wird. "Es wäre eine kleine Sensation, sollte die Entscheidung negativ ausfallen", sagte Christoph Rasch von Greenpeace Energy dem STANDARD. "Dann müsste man dem EdF-Aufsichtsrat Respekt zollen, dass er die vielen Warnungen nicht in den Wind geschlagen hat."

Greenpeace Energy ist ein Ökoenergieanbieter mit Sitz in Berlin, der seit 2000 umweltfreundlich produzierten Strom anbietet. Das Unternehmen hat im Sommer 2015 Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die seiner Ansicht nach "wettbewerbsverzerrenden Beihilfen" Großbritanniens an den künftigen Betreiber von Hinkley Point eingebracht, wie im Übrigen die Republik Österreich auch.

Goldener Köder

EdF wird, wenn der Bau denn realisiert wird, ein Absatzpreis von 92,5 Pfund (gut 120 Euro) pro Megawattstunde Strom garantiert. Dieser Preis, der ab Beginn der Produktion während 35 Jahren jährlich mit der Inflation steigen wird, liegt momentan fast dreimal so hoch wie der Marktpreis. Zusätzlich wurden EdF Staatsgarantien für Kredite sowie für gewisse Kostenänderungen zugesichert.

Großbritannien läuft unterdessen die Zeit davon. In zehn Jahren soll laut Regierungsbeschluss das letzte Kohlekraftwerk auf der Insel vom Netz gehen. Die Lücke will man durch neue, CO2-arme Gaskraftwerke, zusätzliche AKWs und in kleinerem Umfang auch durch forcierten Ausbau der Windenergie schließen.

30 Milliarden Euro Investkosten

In Hinkley Point an der Südwestküste von England gibt es bereits zwei in Betrieb befindliche Reaktoren (Hinkley Point B1 und B2). Zwei ältere (Hinkley Point A1 und A2) sind stillgelegt. Die Kostenschätzungen für die zwei geplanten Neuen (Hinkley Point C) belaufen sich auf rund 30 Milliarden Euro und mehr. Der Zeitpunkt für die wahrscheinliche Inbetriebnahme wurde erst im Vorjahr von 2023 auf 2025 erstreckt. Partner von EdF sind zwei China-Firmen.

Hohe Risiken

Zuletzt haben sich aber weitere Probleme vor EdF aufgetürmt. So weisen etwa Ratingagenturen vermehrt auf technische, juristische und andere Risiken hin. Dass Projektdirektor Christopher Bakken eben erst seinen Auszug aus Hinkley per Anfang April verkündet hat, werten manche ebenfalls als Indiz für zunehmende Schwierigkeiten rund um das Projekt.

"So wie der VW-Skandal ein Glücksfall für den Umstieg von Verbrennern auf E-Mobilität ist, ist Hinkley Point ein Glücksfall für den Ausstieg aus der Atomenergie", sagt Peter Püspök, Präsident Erneuerbare Energie Österreich. Dies vor allem wegen der Kosten.

Weniger AKWs als vor zehn Jahren

Weltweit scheint die Kernenergie auf dem Rückzug. Obwohl China stark aufrüstet, sind heutzutage weniger AKWs am Netz als vor zehn Jahren. Wurden 1995 weltweit 434 betriebsfähige Reaktoren gezählt, waren es zehn Jahre später 441. Aktuell sind es 339 Reaktoren. (Günther Strobl, 8.2.2016)